Brief aus Wiesbaden, beschreibt Hochzeitsvorbereitung 1946, geschrieben am 15. September 1946 an Verwandte in Steinheim, die Kaffeehaus und Bäckerei betrieb


W. 15/9.46
Meine liebe Milly!
Meinen letzten Brief wirst Du wohl erhalten haben, ich weiß ja, dass Du
keine Zeit zum Antworten hast. Es geht mir ja gerade so am Tage gehts
nicht + Abends fallen einem die Augen zu nun muß ich mir aber mal
die Zeit nehmen es ist Sonntag habe zwar bis eben 1/2 7 Hosen von dem Bub
geflickt und das ist ein Sonntagsvergnügen nun vielleicht kriege ich es jetzt
leichter da Hilfe ins Haus kommt. Hört + staunt unser "langes Carlchen"
hat sich letzten Mittwoch mit einem sehr lieben Mädel verlobt und hat am
Samstag den 5. Oktober Hochzeit wird Mittags 3 Uhr in unserer Dreifaltig-
keitskirche getraut er der es immer von sich warf zu heiraten ist jetzt rein-
getreten. Sie bleiben bei uns, wir haben den Buben ihr Zimmer unser
Schlafzimmer machen lassen ersteres kriegen Carly + Lydia letzteres Hugo
+ wir zwei Alten sind vorne ins Herrenzimmer ausgerückt das Eßzimmer benut-
zen wir dann gemeinsam auf, das mein Haus voll werde. Ich bin froh es ist
ein nettes, fleißiges Mädel 21 Jahre alt geworden am 11.9. da gaben sie sich
die Trauringe halten kann man ja nichts, in dieser Zeit. Ich kriege dann
auch ein bis'chen Arbeit abgenommen, kann es auch nicht mehr alles allein
fertig bringen. Wie geht es Euch, was macht meine gute Liesie? Heute vor
8 Tg. hatte ich meinen 57 Geburtstag da kamen Betty + August von Offenbach
unverhofft Morgens um 10 Uhr + sind um 1/2 5 wieder weggefahren, wir hatten
uns so gefreut, hatten uns auch so lange nicht gesehen. Die kriegen auch
keine Pension, da August auch in der Partei gewesen ist. Die Buben sind
beide in Sigmaringen Hans will aber wieder nach Offenbach.

Heinzel arbeitet schon 6 Wochen als Maurer er will in ein Baugeschäft als
Techn. Teilhaber eintreten und muß seine Gesellenprüfung noch nachmachen da
muß er 1/4 Jahr mauern kommt schon Morgens vor 7 hier angeradelt schafft
oben im Lazarett + um 1/2 6 kommt er wieder + holt sein Rad + fährt heim zu
seinen Ganzen (Anm.: Gänsen) hat jetzt 6 Stück die Hanny hat eine schöne Arbeit damit.
Für heute Milly hätte ich eine große Bitte an Dich wir würden doch gerne zur
Hochzeit wenigstens einen gemütlichen Kaffee trinken + wenn wir mit Hanny
+ Oma mitgerechnet schon zu 7 sind Lydia + Eltern Oma + ihr Onkel sind
wir 12 Personen + woher nehmen + nicht stehlen. Bei dem bis'chen Brot kann
man ja für Mehl wirklich nichts ansparen + eine Bezugsquelle haben ihre
Eltern auch nicht, da ihr Vater Bildhauer ist + nur für Kirchen + Behörden
arbeitet da fällt nichts ab. Könntest Du uns nicht ein bis'chen helfen Du ver-
stehst mich schon + im Briefe uns was schicken?
(Anmerkung Webmaster:Offenbar eine Bitte um Zusendung - ev. bereits benutzter
und im Bäckergeschäft eingenommener - Lebensmittelmarken für Mehl
)
Wir wären Dir sehr dankbar dafür.
Es ist ja traurig heute, nirgends was aufzutreiben so geht es mit Möbel mit Wäsche + Kleid
selbst das Brautkleid zu beschaffen ist was für sich Lydia hat Seide liegen aber
alles für kurzes Kleidchen gesichtet + und sie ist ziemlich groß. Überall haben sie versucht
Spitze oder Seide dazu zu bekommen aber alles zwecklos nun habe ich Hanny
gebeten, ihr das Brautkleid + Schleier zu leihen sie hatte es ja nie mehr getragen
sie will es auch gerne tun, nun sind sie heute Mittag rauf zu ihnen anprobieren
Gottlob verstehen sich die beiden Schwägerinnen gut. Hanny war ja erst ein
bis'chen eifersüchtig, hat gemeint ich hätte sie dann nicht mehr so lieb, nun
hat sie sich aber damit abgefunden + ist zufrieden. Hugo + Heinzel
kommen gut mit ihr aus, hauptsächlich Hugo, der war dabei als Carly sie
kennen lernte + verstehen die zwei sich glänzend überhaupt ist sie ein liebes
anschmiegendes Ding groß, dunkles Haar + schöne dunkelblaue Augen
Carlchen ist ganz verliebt in sein junges Bräutelein wir lachen immer über ihn
der alte Hagestolz immer wollte er Junggeselle bleiben + nun hats ihn mit
seinen 33 Jahren geschnappt. Wie gehts Hans + Anni + August + Gretel? Grüßt
sie bitte alle herzlich von uns. Geht es Opa Heiner gesundheitlich wieder gut
grüßt ihn bitte auch Oma Heiner. Wie gehts Willy + Hans Otto die werden
auch viel Arbeit haben. Kommt Ihr nicht mal zu uns, wir würden uns sehr
freuen. Nun muß ich aber schließen es ist 7 Uhr durch und gleich wird meine
Gesellschaft zum Nachtessen angerückt kommen. Hunger ist bei ihnen ja
immer genügend vorhanden das weißt Du ja von Deinem Wiedkopf selbst. Aber
alle meine Lieben bleibt recht gesund grüßt + küßt mir meine gute Tante Lisa
und seid Alle recht herzl. gegrüßt + geküßt von Eurer
Betty
Heinz + die Buben lassen herzlichst grüßen
Oma weiß nichts von diesem Brief


© Horst Decker