Sammlung von Goldmünzen in Schulen

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Die Urkunde wurde auf dem Aufruf zur Schülersammlung handschriftlich vom Lehrer oder der Lehrerin ausgefertigt. Der handschiftliche Text lautet: " Der Schülerin Irma Volk als Anerkennung des Eifers bei der Goldsammlung, H. Thomas."
Der vorgedruckte Text, eine rührseelige Geschichte, die auf eine effektive Sammlung einstimmen sollte.

Klassengold

Erzählung von Fritz Müller, München

Klassengold, das ist das Gold, was jetzt durch die Schulklassen
gesammelt wird. Für die Reichsbank natürlich.
Die Volksschullehrerin hatte plötzlich den graunen 'Heiner,
Rechenaufgaben für die dritte Volksschulklasse', zugeklappt:
"So Kinder, jetzt habe ich noch eine Rechenaufgabe, die nicht
im Heiner steht." Einige schauten auf. Andere überhörten's.
Und die meisten dachten: Ach Gott, als ob die vom Heiner
nicht schon übrigens genug wären. "Also paßt auf: Wieviel
Mark hat ein goldenes Zwanzigmarkstück?"
"Jetzt so was?" dachten die in den hinteren Bänken,
"zwanzig Mark sind doch immer zwanzg Mark, am Morgen
und am Abend." Aber die Gescheiten in den vorderen Bänken
dachten: "Aha, da ist eine ganz besondere Schwierigkeit da=
hinter. Wir wollen lieber still sein und sich die anderen bla-
mieren lassen."
"Nun, Paul Brenner, wieviel Mark hat ein goldenes
Zwanzigmarkstück?" schmunzelte die Lehrerin.
"Ich- ich weiß es nicht". Die Klasse war bewegt. Das war
das erstemal, daß der Paul Brenner, der Klassenerste, etwas
nicht wußte.
Da hielt es den Fritz Schindler in der letzten Bank nicht
länger. "A Zwanzigmarkstück san halt zwanzig Mark!" platzte
er heraus. Alle hielten den Atem an.
"Richtig," lächelte die Lehrerin, "aber schriftdeutsch, bitte,
Fritz Schindler".
Zwar, der Schindler dachte, daß zwanzig Mark sowohl auf
schriftdeutsch als auf münchnerisch zwanzig Mark seien. Aber
natürlich gehorchte er und sagte mit übermäßiger hoch-
deutscher Anstrengung: "Eun Zwaanzigmarkstück sind zwaanzig
Marken."
"Mark, nicht Marken, Fritz. Und nun paßt auf: Wenn ich
dieses goldene Zwanzigmarkstück in die Reichsbank trage
- ihr wißt doch, wo die Reichsbank ist?" - "Ja, neben'm
Hofgartenkaffee!" - "Richtig; also welchen Wert hat dieses
Goldstück dort, könnt ihr euch das denken, Kinder?"
Blitzgeschwind fuhr es dem Klassenersten Paul Brenner durch
den kleinen Kopf: Das hat ja heute früh der Vater aus der Zei-
tung vorgelesen: "Für zwanzig Mark in Gold kann die Reichs-
bank sechzig Mark in Scheinen ausgeben," sagte er geschwind.
"Stimmt, Paul Brenner, stimmt," sagte die Lehrerin erfreut.
Und die ganze Klasse schaute verwundert und ehrfürchtig auf
den Paul Brenner, der so etwas wußte. So was Geheimnis-
volles, das Geld zu verdreifachen.
"Wenn ihr's auch noch nicht versteht, Kinder, das versteht
ihr doch, daß wir zur Kriegsführung Geld brauchen, nicht wahr?"
Nicken. "Viel Geld." Nicken. "Und das also jeder Deutsche alles
Gold, was er hat oder kriegen kann, wohin tragen muß?"
"Auf die Reichsbank," rief die ganze Klasse.
"Ihr könnte auch dazu helfen, Kinder - sagt's den Eltern
zu Hause - bringt das Gold mit - ich gebe euch eine Quittung
dafür - Banknoten nämlich, ihr kennt sie ja - eure Eltern
verlieren nichts, und das Vaterland gewinnt - das versteht ihr
doch. gelt?" Lebhaftes Nicken. Da war kein kleines Herz, das
nicht den Takt dazu geschlagen hätte. "Und ihr gewinnt auch.
Jeder, der Gold bringt, dem gebe ich extra die Hand vor der
Klasse." Die jungen Augen leuchteten. Sie hatten ihre Lehrerin
mächtig gern. "Das ist noch nicht alles, Kinder. Wenn wir in
unserer Klasse tausend Mark - denkt mal, tausend Mark zu-
sammenbringen, dann gibt es einen schulfreien Tag."
"Wie beim Hindenburg neulich," fuhr es dem Fritz
Schindler heraus.

"Ja, Fritz Schindler, ganz recht, weil es auch ein Sieg ist,
ein Klassensieg - wollt ihr mir siegen helfen, Kinder?" Draußen
läutete es. "So, und jetzt geht nach Hause, Kinder, in - in
den Kampf," lächelte die Lehrerin.
An diesem Tag wunderten sich die Eltern, wie geschwind
die Kinder von der Schule zum Mittagessen kamen. Mit leerem
Magen und mit vollem Herzen. Nur daß die, je nachdem, ver-
schieden von den jungen Lippen sprang.
"Mutter," rief der kleine Anton Schrepfler, kaum daß er
unten geläutet hatte und der Mutter Kopf im dritten Stock sich
aus dem Fenster beugte, "Mutter, richt' gleich das Gold her!"
Und nachdem er die drei Treppen hinaufgestürmt war: "Hast
du's schon hergericht', Mutter?" - "Was denn für ein Gold,
Toni?" - "Für d'Reichsbank - aber, Mutter, weißt du das
nicht einmal ..." Und dann strömte seine ganze neunjährige
Beredsamkeit über die lächelnde Mutter.
Die war an eine alte Kommode gegangen: "Wolln mal
schaun, Toni, ob überhaupt noch eins da ist." Eine alte ver-
staubte Sparbüchse schepperte, spie harte Taler aus, nur Taler.
Aber plötzlich blitzte es goldig unterm Silber. "Ui - uii - uiii!"
schrie der Toni. - " Da hast du den letzten Fuchsen, Toni -
er ist von - von 1875 - schau, da ist der Stempel, Toni."
- "Ui - uii - uiii - sag, Mutter, was war im Jahre 1875?"
"Da ist deine Mutter auf die Welt gekommen und hat dieses
Goldstück als Taufgeschenk gekriegt, Toni."
- "Ui - uii."
Dann wurde er doch nachdenklich, der kleine Toni. "Gelt,
Mutter, das ist ein Andenken?" - "Schon, Toni, schon." -
"Aber magst es denn auch gern hergeb'n, Mutter?" Zwei
Arme umschlangend den Frager. "Müßt ja dich auch hergeb'n
Toni." - "Mich?" - "Freilich, Toni, wenn - wenn du nur
halb so alt wärst wie dies Goldstück."
Paul Brunner, der Klassenerste, ging nicht so stürmisch an
das Werk. War er doch ein kleiner Diplomat. Einer, der
ruhig wartete, bis Vater auch bei Tisch saß. Der sich die
brennende Frage sogar bis nach der Suppe verkniff.
"Du, Papa, wir haben heute in der Schule gerechnet." -
"Soso." - "Weißt du, was wir gerechnet haben, Papa?" -
"Wie kann ich das wissen - reiche einmal das Brot herüber,
bitte." - "Hier. Papa - wir haben ausgerechnet, daß zwanzig
Mark Gold auf der Reichsbank einen Wert von sechzig Mark
haben - du hast es aus der Zeitung vorgelesen, Papa." -
"Soso, jaja." - "Na, Paul," half die Mutter, "sag es, was
du auf dem Herzen hast,"
"Papa, wieviel Gold hast du noch?" - "Keins mehr,
Junge." "O, dann kriegen wir auch keinen schulfreien Tag
- ja, und die Hand gibt mir unsere Lehrerin auch nicht." -
"Schulfrei - die Hand? - Was soll das alles sein, Paul?" -
Und der Paul erzählte eifrig und laut. "Und jetzt gibst du mir
dein Gold, gelt, Papa?" schloß er zuversichtlich.
"Tut mir leid, Paul, wir haben im Geschäft schon alles
weggegeben." - "Hast du sonst keins mehr, Papa?" - "Nein,
Paul." - "Gar, gar keins, Papa?" "Aber Junge, hat dich dein
Vater schon mal angelogen?" - "O weh, sicher bringen alle
anderen was und ich bringe nichts - O je, O je." Es verzog
ihm das Gesicht. Aber auf einmal bekam dieses Gesicht einen
ganz festen Ausdruck, fast hart sah es aus. So, wie nur
Kinderaugen blicken können, unausweichlich, unerbitterlich.
"Und ich weiß doch, Papa, daß du noch Goldstücke hast."
- "Nun schweige aber, Junge, sonst werd' ich ernstlich böse."
- "Aber muß ich auch schweigen, wenn ich recht habe,
Papa?" - "Nein, dann darfst du, dann mußt du sogar
reden." - "Also, Papa, du hast mir einmal deine - deine
Sammlung gezeigt." - "Was für eine Sammlung?" -
"Lauter verschiedene Goldmünzen, Papa." - "Ach so - hm ja -
daran habe ich noch gar nicht gedacht - aber das geht nicht
- das geht wirklich nicht, Paul - schau, es ist ja eine Samm-
lung - es ist kein Gold für den Verkehr - da ist die seltene
Kaiser Friedrich-Münze - ". - "Nehmen sie die auf der
Reichsbank nicht, Papa?" - "Hm ja, ich weiß nicht - du bist
ein rechter Plagegeist, Paul." - Aber schon ging der Plage-
geist an Papas Halse und schmeichelte und flehte: "O, Papa,
gelt, - du gibst mir's mit, du gibst mir's mit - jetzt gleich
- jetzt gleich - lieber, lieber Papa."
Und der Papa stand wahrhaftig auf, ließ das Essens stehen,
und holte eine Schatulle. Als die aufsprang, o wie gleißte
es darin. Und ein Stück nach dem anderen wanderte zögernd
heraus und wurde jubelnd empfangen. Und als der Paul
seine Rolle beisammen hatte, war das Essen kalt.
In diesen Tagen hatte das Klassenzimmer einen eigenen
Glanz. Vielleicht vom Wiederschein der Goldstücke, die sich
auf dem Pult der Lehrerin häuften. Die sich Stück für Stück
mit Nachdruck auf das Holzbrett legten: Hier bin ich - hier
bin auch ich - und ich - und ich .... Und jedes Gold-
stück brachte eine kleine Geschichte mit, eine häusliche. Eine
Geschichte, die die Lehrerin glatt aus den Augen ihrer Schüler
lesen konnte, ohne nur ein Wort zu fragen.
Und dann hatte sie feierliche Händedrücke ausgeteilt und
die andere Hand auf junge Scheitel aufgelegt, fast so oftmal,
als da Schüler in der Klasse waren. Und so eins war sie mit
ihrer Klasse wie noch nie. Es war, als wenn das Gold ge-
schmolzen wäre und hätte sie alle zu einem Herzen zusammen-
gebacken. Und das Lernen ging noch mal so leicht. Und heute
hatte die Lehrerin eine Rechenaufgabe gestellt und dazu
gesagt: "Was herauskommt, so viel Gold haben wir jetzt bei-
sammen, Kinder." Und sie hatten alle im Nu die Aufgabe
gelöst. 870 Mark kam heraus. "So," sagte die Lehrerin,
"jetzt fehlen noch 130 Mark an - an einem schulfreien Tag-
in drei Tagen muß ich das letzte Gold abliefern, Kinder."
Am Nachmittag dieses Tages tropften noch fünf einzelne
Zwanzigmarkstücke in die Kasse. Am nächsten Morgen dann nichts.
Dann noch ein Zehnmarkstück. Und dann - dann
war Schluß. "980 - nur 980", ging es flüsternd durch die
Klasse, und man sah einander an, als stecke irgendein Ver-
räter in der Gemeinschaft, der mit seinem Zwanzigmarkstück
zurückhielt.
Es brach der letzte Tag an. Ein Geraune ging in der
Klasse herum, ein Nicken und ein Blicken. "Jaja, der Schindler
- der Fritz Schindler hat auch gesagt, daß er sicher etwas
mitbringen kann - aber er hat nichts gebracht - gar nichts."
"Ich danke euch für eure Goldarbeit," sagte die Lehrerin,
es sind genau 980 Mark geworden, die ich nach der
Schule um 11 Uhr auf die Reichsbank tragen werde - schade,
schade, Kinder, - wegen der fehlenden 20 Mark - ich hätte
euch den freien Tag gewiß gegönnt - aber ich denke, wir
wollen kein Versprechen biegen und - "
"Fräulein, es hat geklopft." - "Herein."
Ein Mädchen kam herein, ein erwachsenes. Fitz Schindlers
verweintes Gesicht wurde rot. In der Bank vor ihm beugte
sich einer zum anderen: "Bscht, des is dem Fritz Schindler seine
Schwester - jaja, I kenn's - was will denn die?"
Das Mädchen war ohne Verlegenheit zum Pulte vor-
geschritten und übergab etwas, was in Seidenpapier ein-
gewickelt war: "Einen schönen Gruß von meinen Eltern, und
hier ist auch noch was - aber Sie sollen es nicht herzeigen,
hat die Mutter gesagt."
Die Lehrerin hatte sich mit der Gabe abgewendte. Während-
dessen war das große Mädchen wieder ruhig hinausgegangen.
Im Vorbeigehen sah es seines Bruders Fritz verweintes Gesicht
mit großen Augen aus der Schulbank glänzen. Sie nickte
ihm zu.
Die Lehrerin hatte sich wieder der Klasse zugewendet. Ihre
Stimme zitterte ein wenig: "Die 1000 Mark sind voll," sagte
sie, "ihr habt morgen schulfrei, Kinder." -
Und es war erst viel Tage nachher, daß Fritz Schindler
beim Abendessen etwas Merkwürdiges bei seinen Eltern ent-
deckte. An ihren rechten Händen fiel ihm ein kleiner licht-
grauer Reif auf, der sich rund um den vorletzten Finger zog.


© Horst Decker