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Der Dichter Erich Hempe befindet sich in Polen, in der Umgebung von Radom oder dort selbst. Lieselotte Hensel, die er erst vor kurzer Zeit kennengelernt hatte, ist bei ihren Eltern auf Urlaub..


O.U., den 8. Mai 1942
Mein liebes kleines Küken!
          Du kannst Dir nicht vorstellen, wie
groß die Freude war als ich hörte, daß heut wieder
ein Brief von Dir eingetroffen ist. Für diese lieben
netten Zeilen danke ich Dir recht herzlich. Dieser
Brief war der Schönste, den ich jemals erhalten
habe. Wie wunderbar wäre es für mich, wenn ich
jetzt bei Dir sein könnte. Aber Gott sei dank, bist
Du am nächsten Samstag schon bei mir. Wie sehr
ich diesen Tag herbeisehne, kannst Du Dir garnicht
vorstellen. Du siehst also, wie egoistisch ich ver=
anlagt bin. Wundere Dich bitte nicht wie kraus ich
durcheinander schreibe. Als ich nämlich auf Lohnstelle
war, um Deinen Brief abzuholen, hat man mich

zum Trinken verführt. Auf einen Zug nahm ich
zwei Wassergläser voll Wottka zu mir. Die Wir=
kung auf nüchteren Magen war auch danach,
bzw. ist es noch. Wie schade ist es doch, daß Du
nicht noch einen Monat mit Deinem Urlaub
gewartet hast. Hoffen wir also, daß es beim
nächsten Mal besser klappt.
Mein liebes Küken!
          Zum ersten Mal in meinem Leben
schreibe ich innerhalb einer Woche 5 Briefe.
Wie sehr ich Dich liebe, geht daraus hervor.
          In der Hoffnung, daß die letzte Woche
            recht schnell herum geht,
              grüßt Dich auf das Herzlichste
                Dein
                  Erich

© Horst Decker