Nachlass 'Josef Kreuter, Farben- und Stempelfabrikant, Frankfurter Str. 131, Gießen'

2 Briefe von Heinrich Pössnecker, Porzellanmanufaktur Selb, an Josef Kreuter

(der erste Brief ist maschinenschriftlich, daher werden 'ß' als 'ss' geschrieben, im zweiten handschriftlichen Schreiben nicht)

Heinrich Pössnecker Selb, den 9. Novbr. Dezbr. 44
Selb
Schillerstr. 8

            Herrn
                              Joseph Kreuter
                                                Giessen

Ihren lieben Brief vom 23. Novbr habe ich erhalten.

Es freute meine Frau und mich ganz besonders, von Ihnen
wieder mal zu hören und vor allem, dass es Ihnen der Zeit
entsprechend gesundheitlich gut geht,
Wir können uns gut vorstellen, dass Sie unter dem Bomben-
terror viel zu leiden haben. Erst gestern hörten wir durch
den Rundfunk, dass bei einem Angriff auf Westdeutschland
auch Giessen mit genannt wurde und dachten wir gleich,
hoffentlich wurden Sie verschont.
Wer hätte je geglaubt, dass an Sie, lieber Herr Kreuter in den
Jahren, da Sie sich eigentlich von der Arbeit zurück zu-
ziehen gedachten, noch solche Anforderungen unter den
allerschwierigsten Verhältnissen gestellt werden. Es gehört
schon eine starke Kraft dazu, bei täglichen Alarm, Flieger-
überfällen, Arbeitskräftemangel u. dergl. einen Betrieb
wie den Ihrigen aufrecht zu erhalten.
Wir sind bis jetzt mit Alarm davon gekommen, in letzter Zeit
haben wir fast täglich Alarm, von Bomben bis heute jedoch
nichts abbekommen. Vor mehreren Wochen hatten sie in Eger
ca. 100 Bomben abgesetzt, einige davon bei Arzberg. Auch
Karlsbad haben sie schwer heimgesucht.
Bei uns wirkt sich der Mangel an Arbeitskräften ebenfalls
recht ungünstig aus. Den grössten Teil unserer Fremdarbeiter
und =arbeiterinnen mussten wir an die Rüstungsindustrie ab-
geben. Das bringt für das Brennhaus Schwierigkeiten, da ja
hier die schwerste Arbeit zu leisten ist. Auch mangelhafte
Kohlenlieferungen tragen in nicht geringem Mass dazu bei.
So fertigen wir noch 2 Formen, die für Lieferungen nach
Schweden, Schweiz und Dänemark in Betracht kommen. Von diesen
3 Ländern haben wir genügend Aufträge vorliegen und sind die
bestellten Dekorstempel zur Ausführung der Aufträge dieser
3 Länder bestimmt. Sonst fertigen wir noch einige Artikel
für die Wehrmacht. Von unserem Malerpersonal von 110 Malern
im Jahr 1939 sind noch ganze 14 Mann da.
Unter diesen Umständen wurden in diesem Jahr keine Weihnachts-
teller
angefertigt.
Ihr Sohn wird in München auch allerhand an Luftangriffen
mitmachen und ist dort fast so bedroht, als wenn er an der
Front wäre.
Unsere Söhne kamen alle beide im August von der Luftwaffe
zur Waffen SS. Der ältere macht z.Zt. einen Offizierslehr-
gang in Prag mit. Der jüngere konnte nicht einmal
die Unteroffiziersschule in Radolfzell bis zum Ende besuchen
(der Kurs sollte am 31.12. beendet sein), er kam plötzlich
mit seinen Kameraden an die Westfront.

Wollen wir hoffen, nachdem sie den Krieg so lange gut über-
standen haben, dass alle 3 weiterhin glücklich durchkommen.
Lieber Herr Kreuter! machen Sie sich doch wegen Weihnachtsgaben
keine Mühe, es sind nun mal die Zeiten nicht darnach, man ist es
gewöhnt, auf allerhand Annehmlichkeiten verzichten zu müssen.
Nun kommt noch der Volkssturm und nimmt einem die paar freien
Stunden am Sonntag auch gar weg.
Wir sind beide gesund, ist das schon ein grosses Glück.
Ich hoffe, dass meine Zeilen Sie und Ihre Lieben gesund
und heil antreffen und bin mit den herzlichsten Grüssen

Ihr
Heinrich Pössnecker
Maria Pößnecker


NB. Wissen Sie schon, dass Herr Johannes Wölfel.
den Sie doch auch gut gekannt haben, im
Mai dieses Jahres verstorben ist.


(Anm:es folgt ein weiterer handschriftlicher Brief von Heinrich Pößnecker)

Selb, 27. Dezember 1944
Sehr geehrter Herr Kreuter!
      Meinen Brief vom 13. Dezbr schätze in
Ihrem Besitz.
      Nun haben wir die 6. Kriegsweihnacht
hinter uns. Hoffentlich können wir die nächsten
in Frieden begehen. Wir konnten die
Feiertage in Ruhe vergingen, hatten einige-
male Alarm, denkt aber niemand daran,
in den Keller zu gehen.
      Sie werden wohl wieder Fliegerüberfälle
gehabt haben, man hört ja jeden Tag, Einflug
nach Westdeutschland. Vielleicht wird es auch
für Sie etwas besser, nachdem es im Westen
wieder vorwärts geht und Giessen nicht mehr
so nahe an der Front ist.
      In Selb haben die Fabriken Betriebsruhe

vom 23.12. - 2.1.45, schon deswegen, um
Kohlen und Strom zu sparen.
      Zum Jahreswechsel wünschen meine
Frau und ich, Ihnen, lieber Herr Kreuter
und Ihren lieben Angehörigen alles Gute
und vor allem Gesundheit.
      Mit den herzlichsten Grüssen verbleibe
ich
                              Ihr
                        Heinrich Pößnecker

© Horst Decker