Brief eines im Wehrmachtsgefängnis
München Stadelheim inhaftierten Soldaten

(es folgt der Stempel mit den Vorschriften der Standortarrestanstalt, München 19, Leonrodstr. 51)

Name: Camillo Kühles      Gef.B.Nr. 855 / Abt.55      München, den 13. Dez. 42

Meine innigstgeliebte Annemarie! Weihnachten ist vor der Türe
und Wehmut steigt durch mein Gemüt. Trennung von Heim und mei-
ner Liebsten. Herzinnigen Dank für Deinen lieben Brief, den ich
schon lange erwartete. Hat mich unendlich gefreut. Besonders die
Neuigkeiten, die Du mir mitteiltest, waren sehr angenehme Überraschung.
Allerdings hast Du mir wieder sehr gerichtet meine Fragen in meinem
Brief übergangen und nicht beantwortet. Warum willst Du mir denn
meine Wünsche nicht erfüllen? Du schreibst wohl immer, daß von
Dir sowohl wie von Rechtsanwalt Dr. Kartini alles zu meinen Gun-
sten übernommen wird, mein Schicksal zu erleichtern, aber ich ver-
spüre davon gar nichts. Darf ich wenigstens als Weihnachtswunsch
in bescheidenem Maße folgende Fragen als beantwortungswürdig an
Dich richten? 1.) Wie steht nun endlich mein freiwilliger Eintritt

zu Militär? Warst Du beim W.B.K. Offizier? 2.) Ist es möglich, daß
ich 1 Monat Strafunterbrechung wegen Heirat und Regelung sonst-
tiger wichtiger Angelegenheiten bekommen kann? Auch
möchte ich meine Frontbewährung unbedingt machen. Ich bitte Dich
nun endlich für mich tätig zu sein. Du weißt nicht, was ich seelisch
leide, oder denkst Du nicht daran. Wann bekomme ich nun doch
einmal einen Rasierpinsel. Auch bitte ich Dich, mir meinen
alten Pullover
oder Wollweste zu senden mit meinem
wollenen Halsschlips
, denn mich friert sehr. Habe mich schon
sehr erkältet. Ich kann hier ... nicht wegen eines Weih-
nachtsgeschenk f. Dr. Kartini hier disponieren, noch dazu, wo
alles eingestellt ist. Sowie wir wieder in gedachter Wohnung uns
befinden, werde ich die Sache sofort angehen. Bitte schreibe mir auch
die Anschrift von meinem Sohn Egon ins Felde. Kartini soll mir doch
endlich schreiben, was er unternehmen wird in meiner Angelegenheit
und wann endlich einmal bestimmt würde, ... ... .
Es ist alles so schleppend und keine kluge Voraussicht. Heute sende ich
Dir die Schreiben von der Partei mit, bitte bespreche Dich mit Dr. Kartini.
Nun verlebe Weihnachten glücklich mit Fritz und Thea und vergeßt mich
nicht ganz. Herzl. Grüße und viele Weihnachtsküsse sendet Dir
          Camillo

Bitte möglichst Schnupftabak nicht vergessen. Rasierpinsel !!!!!!!

© Horst Decker


     


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