Brief eines im Wehrmachtsgefängnis
München Stadelheim inhaftierten Soldaten

München, den 27. November 1941

(es folgt der Stempel mit den Vorschriften der Standortarrestanstalt, München 19, Leonrodstr. 51)

      Meine süße, liebe Annemie!
Heute wieder zwei Briefe von Dir erhalten, die mich wieder etwas aufheiterten
und mir neue Zuversicht auf meine Zukunft geben. Bitte, meine liebe Annemie,
verzeihe mir meinen trostlosen Ton in meinem letzten Brief, aber ich war einige
Tage ohne Nachricht und dachte mir, Du bist wieder einmal zusammengeklappt oder
es ist Dir etwas passiert. Kein Mensch, der es nicht selbst miterlebt hat, kann das richtig
begreifen, welche Seelenschmerzen man in einer solchen Einsmkeit aushalten muß.
Noch dazu, wo meine Wohnung, also meine Heimat dauernd auf einem Pulverdaß
steht. Mein Trost ist immer nur der, daß Du mit unerbitterlicher Zähigkeit und Treue
mein bzw. unser Hab u. Gut verwaltest und im äußersten Falle Dir in erster Linie Herr
Rechtsanwalt Dr. Kartini zur Seite steht. Auch Irmgard u. Herrmann werden Dir ganz
bestimmt zur Seite stehen, wenn es irgendwie nötig sein sollte. Rechtsanwalt Dr.
Kartini ist immer noch nicht dagewesen, obwohl ich ihn so eingehend darum gebeten
habe, da ich ihn doch noch so viel konsultieren muß, gerade wegen meiner Scheidung.
Wenn nur das Warten nicht gar so schrecklich wäre! - Ich hoffe, daß Herr Kartini
meine Scheidungsangelegenheit richtig erledigt. - Was gibt es sonst Neues zuhause. -
Ist alles hoffentlich in Ordnung. - Wenn nur nicht immer die Nacht so schrecklich
lang wäre: ohne irgend eine Beleuchtung sieht man täglich ab 5h die Dämmerung
allmählich hereinbrechen; ab 5 1/2 h kann man weder schreiben noch lesen und um
6 Uhr ist es bereits stockfinster. Da ich doch nie vor 1/2 12 h nachts ins Bett ging und nur
bis 1/2 7 Uhr früh schlief, so wirkt sich die Nacht nunmehr fürchterlich lange aus.-
Untertags lese ich sehr viel und schreibe auch verschiedene Erinnerungsmomente aus
meinem Leben und aus meiner 'schrecklichen Ehe' für Herrn Rechtsanwalt Dr. Kartini
auf. - Es fällt einem nach ruhigem Nachdenken oft irgend etwas wieder ein, was

von sehr großen Werte für die Ehescheidung ist. Kartini muß jetzt allmählich eine
scharfe Biographie meines zerütteten Ehelebens haben. Auf alle Fälle, sag Kartini,
daß Du nun sämtliche Rechte der Verwaltung zuhause von mir als Braut offiziell
übertragen bekommen hast und daß sonst niemand das Recht besitzt, sich in meinen
bzw. unseren Zimmern weder aufzuhalten noch herumzustöbern hat. Diese Frau hat über-
haupt kein Recht mehr über meine Sachen zu verfügen; denn sie hat ja seit 3 Jahren
offiziell jede Ehegemeinschaft abgelehnt. Ihr Streben wäre nur dies, sich allmählich das,
was sie brauchen könnte, besonders Wertgegenstände aus meinem Besitz sich anzueignen,
was sie glaubt in der Eigenschaft als 'ehelich angetraute Frau' auf dem Papier ihr gutes
Recht dazu hat. Hoffentlich kann der Schlußstrich unter dieses Martyrium gezogen
werden und können wir dann mit Ruhe ein neues Leben aufbauen und leben, wie anständige
Bürger es gewohnt sind. Dazu will ich den Segen Gottes haben, dann ist das Leben besser
und schöner und man wird auch zufriedener. Wie oft glaubte ich einmal aufatmen zu können
und hatte etwas frohe Laune, als der vergiftete Pfeil dieser Frau mich zu tyrannisieren begann. -
Der Herr Wehrkreispfarrer ist seit Freitag nicht mehr hier gewesen; ich vermisse ihn sehr, weil
er so herzlich Anteil an meinem jetzigen Los hat. Was macht mein kleiner Bär? Mein lieber Vaters
und Mutters Liebling! Passe recht auf ihn auf und pflege ihn sorgfältig! Bleib immer mit Rechts-
anwalt Dr. Kartini in Verbindung und frage ja genau, wie Du Dich verhalten sollst, falls diese Frau
Dich irgendwie wieder belästigt. Vor allen Dingen darfst Du Dich in keine Wortwechsel oder sonstigen
Gerede einlassen. Lasse sie ruhig reden, wenn sie spricht; wenn Du etwas anordnen willst, dann
nur mit Dr. Deumler. - Ich würde mich unendlich freuen, wenn ich wieder heimkommen darf; ich
würde ganz zurückgezogen leben, nur in mein Heim zu Dir und meinen Vater. Du kannst meinen
Schreibtisch etwas ordnen und auch sonst was unordentlich aussieht. - Die sämtlichen Schlüssel
zu meinen Schränken hast Du in Deinem Besitz und sonst niemand. - Nun meine liebe Annimie!
Nimm für heute herzinnige Grüße und Küsse entgegen
            von Deinem Dich stetsliebenden
                        Camillo

Herzliche Grüße an Irmgard u. Herrmann und die Kinder.

© Horst Decker


     


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