Brief eines im Wehrmachtsgefängnis
München Stadelheim inhaftierten Soldaten

München, den 16. November 1941
Sonntag-Morgen und Montag

(es folgt der Stempel mit den Vorschriften der Standortarrestanstalt, München 19, Leonrodstr. 51)

      Meine innigstgeliebte Annemie!
Sonntag-Morgen ist es; - ein wunderschöner Spätherbsttag - die Sonne leuchtet
mit hellen Strahlen in meine Zelle und feierlicher Odem breitet sich sogar in diesem
sonst wehmütigen Bau aus. Wenn man so seine Gedanken an sein Liebstes hängen
läßt, so gibt es einen Stich im Herzen; man fühlt sich geborgen und doch
wiederum so allein; trübe und freudige Gedanken wechseln und ein Strahl plötzlicher
Hoffnung auf ein baldiges Glücklichsein erwacht im Herzen. - So geht es mir, wenn ich
an Dich, meine treue Liebe denke. Liebe Annimine! Von Tag zu Tage kommt es mir
immer mehr und mehr zum Bewußtsein, was Du für mich bedeutetest. Leider vielleicht
habe ich es nicht so eingesehen, wie gerade jetzt in Zeiten der Not und Bedrängnis.
An meiner verstorbenen Mutter hing ich abgöttlich, sie hatte mich wirklich lieb und
war immer besorgt um mich. Du gleichst ihr in dieser Hinsicht genau und manchmal
könnte ich an eine Seelenwanderung glauben. Warum konntest Du nicht früher schon
meine Lebensbahn durchkreuzen? - Warum habe ich die vielen leidensreichen
Jahre an der Seite einer Frau, die die niedrigsten Instinkte in sich barg, verleben
müssen? Ist es nicht Gottes Fügung, daß Du, mein süßes Lieb, mir gleichsam ent-
gegenkommst um mich noch in letzter Minute aus diesem Chaos herauszuziehen.
Was hat diese Frau in meinem Leben und besonders meiner lieben Mutter
stetig angetan? Ganze Bände könnte man schreiben. Dieser Jammer, nichts wie
Verdruß, Ärgernisse, Unannehmlichkeiten, Blamage wechselten programmäßig.
Aber was hilft dieser Rückblick? Nach vorwärts muß ich schauen und Du wirst
meine Begleiterin in meinem künftigen Leben. Ich möchte doch einmal in meinem
Leben noch in einer glücklichen Ehe sein, die wirklich eine Ehe ist. Nur Du kannst
mich glücklich machen und wenn tausende von Frauen kämen; ich will nur Dich

weil ich mich nur bei Dir geborgen fühle. Wenn dieser Sturm und ich hoffe, das
wird der letzte in dieser unglüchlichen dramatischen Ehe sein, vorüber ist, dann
werde ich keine Minute zaudern, mein Lebensschicksal in Deine Hände zu
legen. - Vorgestern nachmittag war Rechtsanwalt Dr. Kartini bei mir und
unsere Besprechung war sehr eindringlich. - Ich gab ihm einen Rückblick meiner
vollkommen zerütteten Ehe schriftlich auf 18 Bogen niedergeschrieben und er
freute sich, daß ich ihm die Arbeit des Ehescheidungsantrages auf diese Weise
so erleichtert habe. Desgleichen besprach ich auch meinen Fall eingehend und
er gab mir viel Hoffnung. Er wird zunächst meine Akten einsehen und will mich
nächste Woche wieder besuchen. Du weißt ja, wie ich immer gerne für mein Vater-
land dienstlich wie auch parteiamtlich als Regisseur in der Gaupropagandaleitung
arbeitete und bin tief betrübt, wahrlich aus ganzem Herzen, daß ich hier z.Zt. so
müssig zu sein verurteilt bin. Gestern erhielt ich wieder 4 Briefe von Dir und war
sehr erfreut über Deine trostreichen Worte. Mein Vertrauen zu Dir ist unerschütterlich
und ich weiß, daß Du die Frau bist, die mich aus allen ... u. auch Schwächen
herausreißt. Wie danke ich Gott für Dich! Ich werde auch künftig hin zu Dir so sein,
wie ein Mann zu seiner Frau sein soll, die er von Herzen lieb hat. Wir werden die
besten Kameraden des Lebens sein und kein vergifteter Pfeil soll jemals unser Glück
zerstören wollen. Bitte, teile meinen Vorsatz dem Rechtsanwalt Dr. Roßtäuscher mit,
damit er das Nötigste dazu beiträgt, daß wir beide freie Menschen werden. Vielleicht
haben wir noch das Glück, ein nettes Einfamilienhaus zu erwerben, da wo wir ganz
allein und nicht mehr unter dem Einfluß von Feindseligkeit stachelnden Menschen
leben. Ich habe es wirklich reichlich satt, Menschen, die ich dauernd in jeder
Hinsicht geholfen habe und die mir als Gegengabe: Gemeinheit, Niederträchtigkeit
und Mißgunst vergalten, weiternhin um mich zu sehen. Du kennst mich genau,
sowie der weitaus größte Teil meiner Bekannten u. Freunde. Nur zuvorkommend
und hilfsbereit war ich gegen alle und alle machten mir die bittersten Vorwürfe, wa-
rum ich mich nicht schon lange von diesem entmenschtem Weibe trennte. Mein
langes Zaudern und Nachsicht haben mich immer noch davon abehalten. Aber

der Rest des Briefes fehlt

© Horst Decker


     


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