Brief eines im Wehrmachtsgefängnis
München Stadelheim inhaftierten Soldaten

München, den 9. November 1941

(es folgt der Stempel mit den Vorschriften der Standortarrestanstalt, München 19, Leonrodstr. 51)

      Meine liebe Annemie
Deine beiden Briefe und die verschiedenen Sachen / Knäcke-/Brot,
Dose mit Butter, 3 Schachteln Cigaretten, Wäsche, Unterhose, Hemd u. Strüm-
pfe, Waschzeug, Kuchen und Apfel habe ich erhalten und danke Dir aufs
herzlichste. Das Geld ( 20 RM u. Rasierapparat sind wohl im Depot aufbewahrt.
Ich war wirklich so unermeßlich glücklich von Dir, meine Liebste, einige
Trostworte zu empfangen in diesem öden Einerlei. Ich halte den Kopf
hoch und glaube an die Gerechtigkeit als guter Deutscher und National-
sozialist. Meine Mitbrüder in diesem schrecklichen Russenfeldzug ha-
ben noch viel mehr Unangenehmes mitzumachen, als ich hier in den
4 Wänden, Mein Alter (50 Jahre) macht mir allerdings für solche
Strapazen, vor allen Dingen Einschränkungen, schon sehr viel zu schaffen,
jedoch ich ertrage es, in der guten Hoffnung für Dich, meine Liebe. -
Bist Du doch der einzige Mensch, den ich auf der Welt habe, der es mit
mir wirklich ehrlich und gut meint, auf den ich mich verlassen kann
zu jeder Zeit und der mich in schlimmen und drohenden Schicksals-
stunden aufrecht erhält. Du bist mir nicht nur Kameradin, nein auch
Mutter, die mich wie ihren Sohn betreut. Meine ganzen Verwandten,
die ich noch habe, sind mir weit entrückt im Laufe der Zeit, höchstens
mein Sohn Egon. Gern möchte ich ihn sehen, aber er ist zur Zeit
weg. Leider ist das kleine Töchterchen, das Du mir vor 2 Jahren schenk-
test in die Ewigkeit gegangen; wie gerne hätte ich es zuhause bei Dir
in sicherer Obhut. Aber was nützen Hoffnungen und Wünsche, die einmal
verronnen sind. - Mein Lieb! Irmgard u. Herrmann sind unsere
Freunde, Freunde die man selten findet; Freunde im wahrsten Sinne
des Wortes. Hermann soll Dir immer beistehen und Dich beschützen,

wenn Du in Not oder Bedrängnis kämst. Sage beiden meinen
innigsten Dank. Gib auf dem Bärle, das große Vermächtnis meiner
seeligen Mutter recht acht und pflege ihn. Du hängst ja auch an dem
Tierchen. - Was ist denn eigentlich mit dem Rechtsanwalt Dr.
Kartini los? Ich warte immer und er verspricht zu kommen und
war bis heute nicht hier. Ich habe den Ehescheidungsantrag in
12 solchen Seiten wie dieser Brief ist geschrieben und warte immer,
daß er ihn hier abholt. Mein Gehalt kommt nach wie vor vom
Postamt 3 an die Bank, erkundige Dich doch auf der Bank, Du hast
je mein Checkbuch. Meine Löhnung (20 RM) mußt Du in meiner
Dienststelle abholen und gehe zu Inspektor Schrainberger. - Grüße ihn
auch von mir. Du kannst mir an Eßwaren bringen und in der Ge-
schäftsstelle abgeben, was Du willst,vor allen Dingen bringe mir meine
Tabakpfeife am Schreibtisch und den Tabak in der Blechdose. Meine
Cigarren und Cigaretten sind in der Kommode, wie Du weißt. Auch von
diesen bitte bringe mir Cigaretten. Den Kuchen aß ich heute am
Sonntag in treuem Gedächtnis zu Dir. - Er schmeckte mir sehr
gut. - Die Bilderschecks, welche ich noch zuhause sortierte, sind in 2
Cigarettenschachteln untergebracht und bringe dieselben in das Cigarren-
geschäft Forster, Bayerstraße vis a vis. Altes Zollgebäude. Dafür
bekommst Du ein Paket Stumpen, auf die ich mich freue. Auch
Boni wird Dir gene Rauchwaren geben, wenn Du sagst, daß sie für mich
gehören; das gleiche Frau Künzl. - Grüße mir noch Gerda und Ernst
vielmals; vielleicht senden sie mir eine Schale Speiseeis??? - Hat
Rechtsanwalt Dr. Roßteuscher geschrieben? - Falls er von Augsburg
kommt, möchte er mich besuchen in der Scheidungsangelegenheit von
mir. Bitte shreibe ihm! Nun meine liebe Annimie! Heute am
Sonntag, ein herrlicher Tag draußen, schreibe ich Dir diese Zeilen
und wünsche Dir, mein Lieb - recht gute Nacht!
    Herzlich innige Grüße und einen herzhaften Kuss
      von Deinem treuen Camillo
         
             Randtexte:
Bitte wenn möglich mir auch eine Decke zu senden, denn ich bin bei Nacht wegen meines
Ichias sehr empfindlich und möchte nicht wieder einen Anfall bekommen!

Auch ein wollenes Unterjäckchen kannst Du mir bringen - Warm ist warm.
Gehe oder telephoniere doch noch einmal Dr. Kartini an No.13331
hören !!!

© Horst Decker


   


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