Briefe eines im Wehrmachtsgefängnis München Stadelheim inhaftierten Soldaten


Auf allen Briefen befindet sich oben ein großer Gummistempelabdruck mit den Haftbedingungen, die im Anschluss wiedergegeben sind:

Standortarrestanstalt, München 19, Leonrodstr. 51


Zur Beachtung
Besuchszeit ist nur Donnerstags von 14 bis 16 Uhr. Besucher müssen im Besitz einer für den be-
treffenden Tag gültigen Sprechkarte sein. Besuche für Strafgefangene genehmingt die Arrestanstalt.

Untersuchungsgefangene können in der Strafanstalt Lebensmittel und Gegenstände der
Körperpflege kaufen. Zu diesem Zweck kann Geld bei der Arrestanstalt hinterlegt oder an die Ge-
fangenen überwiesen werden.

Postpakete dürfen keine Lebensmittel enthalten. Übersandte Lebensmittel gehen an den Absender
zurück. Briefen an Gefangene dürfen Briefmarken, Geld, Rasierklingen usw. nicht beigelegt wer-
den. Alle ein- und ausgehende Post unterliegt der Durchsicht.



Es handelt sich hier um die Briefe des 1941 im Wehrmachtsgefängnis München Stadelheim, Leonrodstraße 51 inhaftierten Soldaten Camillo Kühles, 50 Jahre alt. Diese Briefe sind bisher nicht ausgewertet. Sie werden erst bei Neueingabe jeweils gelesen. Dadurch wird auch die Zusammenfassung erst nach und nach ein Bild darüber geben, weshalb der Briefschreiber inhaftiert wurde.
Camillo Kühles war vor seinem Kriegseinsatz gefeierter Schauspieler und Regisseur. Als Soldat wurde er zur Propaganda-Kompanie eingezogen. Ende Oktober 1941 wurde er verhaftet. Möglicherweise steht seine Festnahme im Zusammenhang damit, dass Camillo Kühles zwar verheiratet ist, jedoch seit mindestens 3 Jahren eine Beziehung zu der unverheirateten Annemarie Hecker hat, die ca. zwei Jahre vor der Haft eine gemeinsame Tochter geboren hatte, die allerdings nach der Geburt verstorben ist. An diese Dame richten sich auch die Briefe, denn die Ehe ist darüber zerbrochen. Während der Briefschreiber einsitzt, findet das Scheidungsverfahren statt. Grund der Inhaftierung ist allerdings wahrscheinlich, dass er von seiner verlassenen Ehefrau einer Tat beschuldigt wurde, die ihn in Konflikt zu NS-Gesetzen brachte. In beiden Fällen, der Ehescheidung und der Strafsache, wird der Briefschreiber von seinem Anwalt Dr. Kartini vertreten, der sich allerdings nicht sonderlich zu bemühen scheint.
Schon der erste Haftmonat hat Camillo psychisch sehr zugesetzt. Er hat Angst, dass sich seine Freundin, die seine einzige Vertrauensperson ist, verlässt und schreibt davon, viel zu weinen. Er berichtet, dass er sich verpflichten musste, nach Außen nichts über sein Verfahren verlauten zu lassen. Solche 'Geheimverfahren' waren im Dritten Reich bei Vergehen gegen Parteigesetze, z.B. Kontakt mit Juden, üblich. Er fordert seine Freundin auf, ebenfalls über die Vorwürfe gegen ihn zu schweigen. In dem Verfahren vom 17. Dezember 1941 wird Camillo Kühles offenbar zu einer empfindlichen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach einem ersten Schock ist der dennoch über diese 'Milde' froh, denn es hätte weitaus schlimmer laufen können.
Nach diesem Schreiben folgt eine 'Lücke' von knapp acht Monaten. Ohne Zweifel hat Camillo wie zuvor viele Briefe geschrieben. Er zählt in seinem Schreiben vom 2. Augst 1942 alleine sieben Briefe an, die erhalten hat und bedauert, dass es so wenige waren. Beachtet man, dass er zuvor teils wöchentlich zwei Briefe schrieb, so dürfte der Fehlbestand recht groß sein.
Aber leider wurde, bevor wir den verbliebenen Rest erwarben, der Briefbestand von einem 'Sammler' einzeln über Ebay versteigert, weshalb es sicher weitere Briefe in anderen Sammlungen gibt.
In seinem Schreiben vom 2. August 1942 beschreibt Camillo den jeden Tag identischen und eintönigen Tagesablauf, der letztlich nur aus den Mahlzeiten und 'zwanglosem Beisammensein' besteht,
Seine Scheidungsangelegenheit scheint zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht erledigt zu sein.
Sicher fehlen nun einige seiner Briefe.
Am 22. August 1943 schreibt Camillo nach Hause zu seiner Verlobten, dass nun endlich seine Entlassung bevorsteht. Am 1. September 1943, nach knapp 2 Jahren Haft, soll er endlich wieder die Freiheit erlangen.
Nach dem Krieg lebte Camillo Kühles weiter in München und setzte seine Schauspielerkarriere fort. In dieser Zeit erlebte er durch Mitwirkung an den Filmen 'Glocken von London' (1962) und 'Ein großer glaublauer Vogel' (1971) seine größten Erfolge.


Camillo Kühles in 'Ein großer graublauer Vogel'

09.11.1941der Camillo Kühles ist knapp zwei Wochen inhaftiert und bittet seine Geliebte, ihm Dinge der Grundversorgung zu schicken. Von ihr hat er bisher zwei Briefe erhalten. Er zählt eine Reihe von Personen auf, die diese wegen Zigarettengaben kontaktieren soll. Möglicherweise geht es aber darum, diese über seine Verhaftung zu informieren. Er beklagt, dass es sein Anwalt bisher noch nicht für nötig gesehen hat, ihn aufzusuchen.Briefwiedergabe
16.11.1941der Camillo Kühles deutet seine zerüttete Ehe an, der er so schnell wie möglich entfliehen will, um seine Annemarie heiraten zu können. Er beschreibt seine Noch-Ehefrau als niederträchtig und deutet an, dass sie die Ursache seiner Inhaftierung sein könnte, in dem sie ihn wegen unparteilichem und dienstwidrigem Verhalten gemeldet hatte.Briefwiedergabe
27.11.1941Camillos seelischer Zustand ist zerüttet, was sich in seinen teils wirren Sätzen ausdrückt. Er beauftragt seine Geliebte, Sorge für sein Haus zu tragen und Ansprüche seiner Noch-Ehefrau abzuwehren. Er beklagt, dass sein Anwalt ihn nicht besucht.Briefwiedergabe
30.11.1941Camillo wurde kürzlich von Annemie besucht. Er schreibt ihr nun, wie sehr ihn die Haft psychisch zerrüttet und dass er Angst hat, sie könne sich von ihm trennen.Briefwiedergabe
04.12.1941der Inhaftierte Camillo Kühles schreibt von seinem psychischen Zustand, seiner Liebe zu seiner Geliebten, die er zu heiraten denkt, sobald er geschieden ist und entlassen wurde.Briefwiedergabe
11.12.1941der Inhaftierte Camillo Kühles schreibt von seinem psychischen Zustand und der Belastung durch die Haftbedingungen. Er bittet Annemie, dafür zu sorgen, dass seine Wohnung vor seiner noch-Ehefrau gesichert wird und beklagt, dass seine Sache nicht voran geht. Er blickt auf seine Zeit als gefeierter Schauspieler und Regisseur zurück und wie schnell sich sein Schicksal gewandelt hat.Briefwiedergabe
14.12.1941der inhaftierte Camillo Kühles schreibt von seinem psychischen Zustand und dass in 3 Tagen, am 19. Dezember der Prozess gegen ihn stattfinden wird. Auch sieht er einer Zwangsräumung seiner Wohnung entgegen, die für den 1. Januar 1942 angesetzt ist.Briefwiedergabe
18.12.1941Camillo schreibt über seinen Prozess, der am Vortag stattfand und bei dem seine Frau und seine Geliebte als Zeugen vernommen wurden. Offenbar wurde er zu einer empfindlichen Strafe verurteilt, deren Höhe er aber nicht erwähnt, allerdings erwähnt er die Milde der Richter, denn die Strafandrohung für sein 'Vergehen' war offenbar weitaus höher.Briefwiedergabe
02.08.1942Camillo beschreib den eintönigen Tagesablauf im Gefängnis München Stadelheim, der nur aus den Mahlzeiten und 'geselligem Beisammensein' besteht. Er befindet sich offenbar in der Abteilung für psychisch kranke Straftäter.Briefwiedergabe
15.08.1942Die Wohnung von Camillo wurde zwangsgeräumt und das belastet Camillo erheblich. Er baut auf seine Freundin und seinen Rechtsanwalt, dass es eine Problemlösung gibt.Briefwiedergabe
20.09.1942Die Wohnung von Camillo wurde zwangsgeräumt, er weiß nicht, wo sein Hab und Gut verblieben ist, die Adresse seiner Verlobten war schwer zu ermitteln und er glaubt, dass sie ihn nicht mehr so liebt.Briefwiedergabe
23.11.1942Die Verlobte hat Camillo ein Paket geschickt, u.A. waren Brot und Obst darin, was verboten war. Camillo beschwert sich bei ihr auch über fehlende Artikel. Voraussichtlich wird er am 1. September wieder entlassen werden, möglichweise in ein Bewährungsbataillon.Briefwiedergabe
13.12.1942Camillo beschwert sich bei seiner Verlobten, dass sie seine gezielten Fragen nicht beantwortet. Er möchte, dass sie seine Versetzung in ein Bewährungsbataillon veranlasst und einen einmonatigen Hafturlaub zwecks Heirat bewirkt.Briefwiedergabe
22.08.1943Sicher fehlen einige Briefe. Camillo Kühles hat nun einen Termin zur Entlassung aus der Haftanstalt. Am 1. September soll er die Freiheit wiedererlangen und bittet seine Verlobte, alles dafür vorzubereiten, auch, damit sie so schnell wie möglich heiraten können.Briefwiedergabe

© Horst Decker




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