Brief mit Beschreibung der Flucht vor der Sowjetarmee im Januar 1945

Der Brief wurde wahrscheinlich von einer Mitarbeiterin des Heeresbeschaffungsamtes Soldau (Polen) an eine ehemalige Kollegin geschrieben, nachdem sie sich nach der Flucht am 17. Januar 1945 aus den Augen verloren hatten. Sie beschreibt recht dramatisch, wie sie immer wieder den Fluchtweg ändern mussten, um nicht den sie mehr und mehr umschließenden sowjetischen Truppen in die Arme zu fallen. Wie sie am Ende berichtet, gelangte sie schließlich bis nach Köln, hatte aber auf der Flucht bis auf das, was sie am Körper trug, alles verloren.
Dabei war sie noch gegenüber dem Gros der Flüchtlinge privilegiert, indem sie als Wehrmachtsbeschäftigte während der Flucht immer die Möglichkeit hatte, Pferdewagen und sogar PKW der Wehrmacht zu nutzen.
Der Brief mit dem Bericht wurde am 9. März 1945 von Hagenburg (über Wunstorf) abgeschickt,


Briefbericht Flucht 1945

Briefbericht Flucht 1945



Hagenburg, den 9.3.1945


Liebes Fräulein Arens!

    Gestern bekam ich Ihren lieben Brief vom 22.2. der ist sehr lange
unterwegs gewesen. Ich habe mich sehr gefreut darüber und spreche Ihnen
meinen besten Dank dafür aus. Sie sind die erste von allen Kolleginnen
und Kollegen wo ich ein Lebenszeichen von bekam. Wir sind doch plötzlich
alle in alle Winde zerstoben und keiner weiß von dem anderen Bescheid.
Wissen Sie denn vielleicht noch von irgend jemand die Adresse? Nun möchte
ich Ihnen liebes Fräulein Arens mal einen kurzen Bericht über unseren
Leidensweg schreiben. Herr Busse führte, so gut es ging, ein Tagebuch und von dem
wollten wir uns in Jastrow das abschreiben aber wir waren kaum da,
da mußten wir so schnell wie möglich dort auch schon wieder fort. Nun
zu meinem Bericht. Am Mittwoch Abend dem 17.1. fuhren wir mit 4 Gespannen
2 Kutschen und 2 Panjewagen vom HBA Soldau um 1/2 10 Uhr ab. Da hatten
wir schon allerhand Krambullage es sollte noch ein 5. Gespann mit aber
da hatte der Pole das Leit vom Geschirr gestohlen ebenfalls hatte er sämtliche
Stollen gestohlen anstatt den Pferden einzuschrauben. Ein Pferdegeschirr hatte
er außerdem noch zerschnitten das mußten wir in der Dunkelheit mit
Draht zusammenbinden. Wir haben dann die Nacht durch in schwerem
Schneegestöber gefahren und kamen den anderen Morgen um 9 Uhr in
Soldau an. Es war schlechtes Fahren, sehr glatt und die Pferde keine Stollen
dann die hohen Schneewehen wie oft mußten wie die Wagen schieben und
frei machen. Die Wagen sind uns oft sogar umgekippt. Um 11 Uhr sind wir
dann von Soldau abgefahren, um 1 Uhr war der Russe schon drin. Wir
sind dann bis Lautenburg gefahren dort haben wir auf einem Gut auf einer Boden-
kammer übernachtet. Hier mußten wir schon mitten in der Nacht wieder
fort denn der Russe war schon näher gerückt.
Einen Wagen mit 2 Pferden mußten wir hier schon zurück lassen die waren schon alle.
Dann ging es über Strasburg,
Hier war alles dermaßen verstopft von Flüchtlingen, daß für uns die Durch-
fahrt durch das kleine Städtchen 3 1/2 - 4 Stunden dauerte. Diese kommende
Nacht haben wir dann in einem kleinen Orte auf einem Bauernhof, der

Bauer fuhr eben mit der Familie ab als wir kamen, wir haben uns dann
4-5 Bund Stroh in die beste Stube getragen und geschlafen. Der Ort hieß Neuheim
und liegt an der Straße Strasburg Thorn. Nachts um 2 Uhr wurden wir durch
großen Lärm wach und es hieß die Russen kommen von Thorn. Schnell raus
die Pferde und Wagen in der Dunkelheit flott gemacht und wieder zurück
bis ziemlich Strasburg und von da über Gotslershausen. Alle Straßen wa-
ren voll von Wagen und Flüchtlingen. Was da alles auf den Straßen lag
und weg geworfen war von den Leuten und wie die Straßen voll gestopft
von Wagen waren oft 9-10 km lange Trecks, das kann ich garnicht schreiben.
Ein sehr großes Land und dann nichts zu essen. Brot konnte man nirgens
kaufen, Wir haben uns bettelnd durchgeschlagen und trocken Brot gegessen
in der ganzen Zeit. Leider kann ich die genaue Route der Reihenfolge
nicht mehr schreiben weil ich das aus dem Tagebuch nicht mehr abschreiben
konnte. Wir konnten fast keine Nacht mal richtig ausschlafen meistens
mußten wir mitten in der Nacht schon wieder stiften gehen fast hätte
uns der Russe einkassiert. Über Bromberg wollten wir da mußten wir
auch wieder zurück da war inzwischen der Russe drin. Wir haben immer
Zickzack fahren müssen hin und her um dem Russen zu entgehen. Einige
Orte kann ich Ihnen noch nennen wo wir gefahren sind. Reden, Graudenz,
bei Graudenz sind wir über das Eis der Weichsel gefahren, Tuchel, Tucheler
Heide hier mußten wir wieder ein Gespann stehen lassen es war alle u. kaputt.
Konitz, Barkenfelde und Jastrow. In Jastrow kamen wir morgens um 5
Uhr an, die kommende Nacht wurden wir wieder geweckt und mußten
schnell Jastrow verlassen. Welches Datum wir hatten weiß ich nicht jeden-
falls wart Ihr einige Tage fort. Von hier sind wir über Groß Born,
Groß Linde Ir.Üb.Plätze mit den P.K.W. gefahren. Da haben wir in
Leutnants Kasernen übernachtet je eine Nacht. Von Groß Linde mußten
wir auch plötzlich wieder fort. Dann ging es über Wangerin, Stargard, Pyritz, Greifenhagen.
Von Pyritz wollten wir nach Schwedt über die Oder, auch hier war in-
zwischen der Russe herangekommen wir mußten wieder zurück und wie-
der nördlich über Greifenhagen über die Oder. In Pyritz wollten sie uns
die P.K.Ws schon beschlagnahmen und wir sollten alle da bleiben zum
Einsatz. Aber der Chef hat dann noch alles mal wieder frei bekommen.
Hinter Greifenhagen wurden wir wieder angehalten! und die Wagen in Beschlag genommen. Der Chef, Lindner und der Ober-
inspektor von der Neubauleitung Zichenau oder Schröttersburg mußten uns dann auf der anderen Seite der Oder nach Schwerdt bringen.
und selber mit dem Wagen wieder zurück zum Einsatz abliefern wahrscheinlich oder wo sie geblieben sind. Von da sind wir über Angermünde nach Berlin mit Manchem gefahren. In Berlin

haben wir uns alle getrennt. Frau Schultzke ist mit mir über Hannover nach Köln gefahren. Die Schwägerin von Schnell-
bücher mit Busse über Bernburg nach Süddeutschland . Schnellbücher fuhr mit einem LKW von Groß Linde mit Lehmann und den
weiteren wir auch. Mein ganzes Gepäck habe ich verloren der Chef hatte uns mal gesucht als wir noch mit den Pferden unter-
wegs waren und hat uns auch gefunden und unser Gepäck auf den L.K.W. nach Jastrow mit genommen. Als wir dort an-
kamen in Jastrow war Krudschus u. O.J. Joachim mit sämtlichem
Gepäck fort auf neue Suche. Nun ist alles fort meine
ganze Wäsche. Wissen Sie vielleicht davon Adresse? Lassen Sie mal wieder von sich hören.
Liebe Kollegin, ich glaube Ihnen in groben Umrissen
unsern Leidensweg geschildert zu haben, Wenn Sie Adressen
wissen schreiben Sie sie bitte an mir. Es ist doch so nein wir immer sagten!!
Seien Sie recht herzlich gegrüßt von Ihren Kollegen
H. Rust.
(hoffentlich geht es Ihnen und Ihren Angehörigen einigermaßen gut, wo ist Ihr Vater?)


© Horst Decker


 


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