Nachlass 'Josef Kreuter, Farben- und Stempelfabrikant, Frankfurter Str. 131, Gießen'

Brief geschrieben am 28. Juni 1943 innerhalb der Familie v.d. Leck-Eysen, Thema Lebensverhältnisse, kriegsbedingter Einsatz der Familienmitglieder

geschrieben am 28. Juni 1943 von Erna Kreuter aus Gießen an Mutter v.d. Leck-Eysen an Mutter in Garding (Schleswig-Holstein). Im Brief berichtet sie über den, bei ihnen einquartierten NSDAP-Kreisleiter, die Lebensumstände und die Einbindung der Familienmitglieder in die Kriegsmaschinerie, Bedenken wegen möglicher Bombardierung Gießens und Wetzlars

28. Juni 1943


Gießen Sonntagnachmittag 6 1/2 Uhr
Meine liebe Mutter,

eben habe ich eine ruhige Minute, und wenn
die Hände auch gar nicht recht die Feder halten
wollen, will ich doch die Stunde nicht verstreichen
lassen, ohne Dir zu schreiben, denn die neue Woche
bringt wieder Arbeit in Hülle u. Fülle, da wir den
Hausputz noch nicht beendet haben. Eine Riesen-
wäsche von 6 Wochen kam dazwischen u. Frau Mais
kann nicht mehr so wie früher, auch ihre Kräfte
lassen nach, da hilft aller guter Wille nicht.
Pfingsten ging uns unbemerkt vorüber. Am
1. Pfingsttage hatte ich Dienst, am 2. zu kochen und
den Haushalt zu versorgen. Bis die Küche sauber
war, mußte der Kaffeetisch gerichtet werden,
so ging es weiter. Außerdem war Frau Bruck, die
Frau des Kreisleiters, aus Wiesbaden 5 Tage da u.
machte natürlich auch etwas mehr Arbeit, wenn
sie auch Betten u. Waschtisch selbst machte. Na, das
Wetter war ja nicht so, daß man sehnsüchtig nach
draußen auf die Feiertagsspaziergänger geschaut
hätte. Diensttag beginnen wir mit der Küche.
So fehlen dann noch Bad u. Musikzimmer,
das wegen der Schneiderei zuletzt dran kommt.
Manchmal denke ich, ob sich all die Schufterei
lohnt, ob nicht, was alle hier erwarten, die
Briten uns eines Nachts heimsuchen. Bis jetzt
blieb es bei Alarmen, die 2-3 mal in der

Woche ertönen, immer um 1 1/2 Uhr nachts be-
ginnend. Der Kreisleiter u. ich sind die Aufsteher -
Er muß sofort bei Alarm aufs Amt. Die Zerstö-
rungen im Rheingebiet sind furchtbar, aber,
wie Fritz, der zum Wochenende da ist, sagte, ist
die Bevölkerung bewundernswert in ihrer
Haltung.
Seit dem 15. habe ich eine Hilfe bis Mittags 1 Uhr.
Es ist eine junge Frau, die kriegsverpflichtet wurde.
Sie ist freundlich, still u. fleißig u. hat sich schnell
eingelebt. Zwar ist sie nicht so schnell, aber sie
ist sauber, denkt nach u. nimmt meine Inter-
essen wahr, was ich von Elly ja nicht mehr gewohnt
war. Ich bin froh, daß ich sie habe, denn die 3 Wochen
allein, die ich den Kreisleiter allein zu bedienen
hatte, waren zuviel für meine Kräfte. Ich denke,
wenn wir mit dem Haus fertig sind, u. sie
ist mit der Arbeit bei, daß sie mir noch zwischen-
durch von 12 - 1 Uhr Strümpfe stopfen kann. Die
Essenerin, die wie der Kreisleiter auch zufällig
Bruck heißt, (meine Hilfe heißt Burk) also eine
drollige Namensvervetterung, kommt nach
Tisch nur noch u. hilft, die Küche zu putzen. Aber
sie ist nicht halb das, was die andere ist. Von der
hatte ich morgens wenig Hilfe, weil das Kind dauernd
aufgenommen wurde. Wie es eben ist, bin
ich ganz zufrieden, nachmittags u. abends will ich
die Arbeit schon allein meistern. Und, da der
Kreisleiter sehr ordentlich ist, brauche ich abends
nur den Waschtisch nachzusehen, das Bett aufzudecken

und zu verdunkeln. Manschmal, wenn es Salat
oder mal Marinaden hat, bekommt er sie mit
Kartoffeln dazu, Brot u. Butter hat er, u. dann
ißt er zu Hause. Das bringt dann etwas mehr
Arbeit. Er ist aber sonst anspruchslos u. bescheiden,
daß man es gern tut, zumal er knapp auskommt
mit dem ewigen Auswärtsessen, besonders, da
er zu Anfang dauernd mit dem Wagen unter-
wegs ist, um in allen Gemeinden zu sprechen.
Sein Kreis ist sehr groß, geht bis dicht an Frankfurt
heran. Ich tue es ja auch für Joseph, dem diese
Freundschaft bestimmt nicht schaden wird!
Als am 2. Pfingsttag abend er mit seiner Frau
zu einer Erdbeerbowle bei uns war, hatten
wir auch Lotte gebeten, die sich glänzend mit
Frau Bruck verstand. Vielleicht findet sie in ihr
eine Freundin, da sie beide ziemlich gleich alt
sind. Hätte ich ihn nicht aufgenommen, so
hätte ich doch Einquartierung bekommen u.
vor allem keine Hilfe. Da der alte Kreisleiter
Backhaus am Herzschlag kürzlich versorben ist,
kann es noch länger dauern, bis er in das
Haus einziehen, also bei mir ausziehen wird.
Er weiß aber, daß wir im Juli fortfahren u.
sieht die Notwendigkeit ein. Frau Mais wird ihn
dann morgens versorgen. Die Essenerin will
ich allein nicht in meiner Wohnung haben.
Ich bin froh, daß ich niemand Fremdes zu ver-
pflegen habe. Die Hilfe, Frau Burk, bringt ihr Brot
mit u. ißt zu Hause zu Mittag nach 1 Uhr, weil sie auch

nicht gern die Karten teilen wollte.
Leni schreibt begeistert von Rom. Sie kommt sich
vor wie in einem Traum u. hat uns schon kleine
Päckchen mit Rosinen, Korinthen, Feigen geschickt.
Ich gönne es ihr, daß sie alles das sieht, was jede
Deutsche gern einmal sehen möchte, Tüchtig muß
sie ja sein, sonst hätte sie dies Kommando nicht
bekommen.
Milly geht es gesundheitlich eben ganz gut.
Rena hat im letzten Aufsatz eine I, in Engl. II
u. in Mathematik eine III geschrieben. Bis jetzt mag
sie Latein lieber als Franz., weil die Aussprache schwie-
rig ist nach den vielen Jahren Englisch. Für Kunst-
geschichte, auch ein neues Fach, ist sie begeistert. Eigent-
lich müßte sie 14 Tage der Ferien in den Einsatz, aber
wir wollen sie nochmals mitnehmen, zumal sie
noch nicht ihre Periode hat u. die oberen Luftwege
noch empfindlich gegen Erkältung sind.
General Moler hat vor einigen Tagen wieder einen
Schlaganfall gehabt, einen vor einigen Wochen in
Büdingen, wo sie 3 Wochen waren. Er überwin-
det sie, weil das Herz so stark ist. Aber dieses Mal ist
es wieder ziemlich schlimm u. kann er nicht
sprechen. Er tut mir sehr leid. Die Tochter, Frau
Schnell, hat auch alles bei dem vorletzten Angriff auf
Dortmund verloren! Der Rolf soll im Juli auf
Urlaub kommen u. will sich gern mit einer
Jugendfreundin verloben! Er ist noch oben im
obersten Norden. Unser armer Erwin ist in
Afrika geblieben, hoffentlich nicht gefallen! Wir

(weitere Texte an den Briefrändern quer)
befürchten einen Angriff auf Wetzlar, bei dem auch wir in Mitleidenschaft
gezogen würden. Aber man soll sich vorher keine unnützen Sorgen machen.
Vor den Ferien komme ich nicht mehr nach Wittenberg, so gern ich es
möchte. Hoffentlich geht es Dir gesundheitlich gut, liebe Mutter. Diese Fettkarten
u. Brotkarten sind ja günstiger. Diese letzte Woche war sehr, sehr fettarm bei uns.
Aber nun wird es ja besser. Ich kann mir vorstellen, daß es für Dich allein schwerer ist.
Gestern habe ich um ein paar Erbsen
über 1 1/2 Std. gestanden. Herzl. Grüße
sagt heute von uns allen!
Deine Erna.

© Horst Decker