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Wiedergabe des Tagebuchs, das von dem deutschen Kriegsgefangenen Siegfried Wolf im französischen Lager Rennes als Loseblattwerk geführt und am 29. April 1947 vom ihm selbst in Schönschrift in ein selbstgefertigtes Heft übertragen wurde.

Tagebuch Kriegsgefangenenlager Frankreich

Meine
Kriegsgefangenschaft

abgeschrieben ohne Textänderung
aus dem Originalbericht meiner
Kriegsgefangenschaft


Siegfried Wolf

Goslar, 29. April 1947

                  1945
Am Sonntag, 15.4., nach Zscherndorf, Quartier
unserer Gruppe bei Zanders. Wir Panzerlöcher.
Nachm. Feindalarm, Panzer beim HJ-Heim. Mit
Oberst vor. Nachts mit Speer Paul auf Posten,
Ammi zog Spitzen zurück. Am 16. vorm. ruhig.
Nachm. wieder Alarm. Unsere Stellung Dorfaus-
gang nach Ramsim. 17.4. früh Trommelfeuer
bis Mittag, dann Feindangriff. Dorf verloren, ab-
geschnitten, beim Bauern in Zivil gekleidet,
bei Püschel und auf Boden im Stroh geschlafen.
Den 18.4., mein Geburtstag, nur auf Boden ver-
bracht, im Hof Ammiquartier. Abends runter
und im Holzschuppen geschlafen. 19.4. früh
durchs Dorf abgehauen, an Posten der Ammis
vorbei nach Bitterfeld, wo noch Reste der Wehr.-
macht, aber wieder zurück, und geriet bei
Zscherndorf in amerikanische Gefangenschaft.
Verhör beim Offizier, Aussageverweigerung.
Nachts Ramsin, 20. Weiterfahrt nach Halle in
einen Kinohof, weiter in ein Dorf unter freien

Himmel. Am 22.4. mit Sattelschlepper weiter
nach Welda, auf Feld etwa 60 000 Gefangene.
Großer Durst gelitten, Nachts sehr kalt. Noch
immer keine Verpflegung erhalten. Viel ohn-
mächtig geworden, am Sonntag Regen, Dienstag
wieder sonnig. Große Qual. Freitag 27.4. kam
endlich weiter mit Güterzug über Marburg,
Geismar, Frankfurt, Mainz ins Lager
Heidesheim. Wieder unter offenem Himmel. Am
30.4. spricht man von Waffenstillstand, un-
sere Stimmung steigt etwas, doch es scheint
nur Parole zu sein. Schieben Kohldampf
und frieren. Am 1.5. noch kaltes Wetter, ich
buddle mich tiefer in die Erde rein. Vorm.
wieder mal Kaltverpflegung erhalten. Am 2.5.
scheint die Sonne wieder, doch trotzdem ein
kalter Wind. Wir glauben an Waffenstill-
stand und hoffen bald die geliebte Heimat
wiederzusehen. 3.5. windig, teils regnerisch,
Hamburg soll genommen und Berlin gefal-
len sein, Hitler und Göbbels angeblich Selbst-
mord. Wir gefangenen Landser haben weiter

Hoffnung. Steht die Heimat noch? Leben
Eltern und Brüder noch? Diese Gedanken
brechen mir das Herz. Ich tröste mich mit
den alten Männern im Lager. Der 5.5. ist
ganz verregnet. Völlig naß gesessen, Aufmun-
terungspille geht durchs Lager, bis 15.6.
sollen alle Gefangenen entlassen sein. Un-
sere Hoffnung fällt wieder. Endlich kommt
wieder schönes Wetter, leider aber wird die
Verpflegung schlechter. Nachts kann ich
nicht schlafen vor Schmerzen an Füssen
und Durchfall. Die Gedanken, der Russe ist
in meiner Heimat, könnte mich zur
Verzweiflung bringen. Wie mag es meinen
Eltern ergehen? und Ulla? Es vergeht Tag
für Tag in demselben elenden Dasein, und
täglich merke ich, wie ich schwächer
werde. Das Rückgrat schmerzt, keinen
Halt in den Knieen und jeglicher Unter-
nehmungsgeist ist verschwunden. ich bin
äußerlich ein anderer Mensch geworden, vom
Kopf bis Fuß verlaust. Ob dies wieder

mal anders werden wird? Die Schmerzen
an den Füssen lassen etwas nach, und
mache so am 15.5. das erste mal arbeits-
dienst. Arbeiten in Mainz in einem Säge-
werk, abends kaputt. Tags darauf umziehen
ins Lager L. Bis zum 18.5. abends immer
herrlicher Sonnenschein. Liege mit Günther
Marx in einem Loch. (Anm. des Webmasters:
In den sogenannten Rheinwiesenlagern
lebten die Kriegsgefangenen monatelang
in Erdgruben, die sie sich zum Schutz vor
Wind mit Löffeln und mit bloßen Händen
gegraben hatten
) Die Verpflegung ist
schlechter geworden. In diesen Tagen hat
man im Lager Lautsprecheranlagen aufge-
stellt und man erfährt so wenigstens
die neusten Nachrichten und ab und zu
Musik. Ein Feldgeistlicher spricht zu uns
und wir haben den den Mut alles zu überste-
hen, um einmal wieder unseren Lieben
in die Augen schauen zu können. Wann
wird das sein? Am 19.5., Pfingstsonnabend,
erhalten wir seit unserer Gefangenschaft
das erste Stück Brot, amerik. Weißbrot. Fünf
Mann bekommen ein 2-Pf.-Brot. Es schmeckt
uns wie Kuchen, doch ist es leider zu
schnell verputzt. Abends spricht unser
Lagerpfarrer wieder ganz hervorragend. Es
kommt der 20.5., Pfingsten. Wir merken

nichts davon, auch die Verpflegung ist
nicht besser geworden. Wie werde ich das
nächste Pfingstfest 'feiern?' Am 22.5. bekom-
me ich von der Kompanie endlich einen
Mantel und kann mich damit nachts
wenigstens zudecken. Nachdem es zwei Tage
und Nächte geregnet hat, wird es langsam
besser. Können wir noch Hoffnung auf
Heimkehr haben? In diesen Tagen lerne
ich Martin Speer aus Heiligensee Kreis Bunz-
lau kennen. Am 25.5. werden wir entlaust.
Am 27.5., Sonntags, werden abends noch Sa-
chen verteilt und ich bekomme eine Hose,
was allerhöchste Zeit war. Täglich werden
Gefangene vom Rheinland entlassen oder
kommen in andere Lager. Ob wir auch die
Hoffnung haben können, dieses Jahr noch
nach Hause zu kommen? Fast allabendlich
erhalten wir etwas Brot, meist für 10 Mann
ein Brot, manchmal auch 20 Mann, das
Beste war für fünf Mann. Am 28.5. werden
wir auf LKWs geladen und ins Gefangenen-
lager Bibelsheim bei Bad Kreuznach trans-
portiert. Alle sind wir kopflos, denn hier im
Riesenlager herrscht eine furchtbare Wassers-

not und ist Typhusfieber ausgebrochen. Vor
Hunger können wir nicht mehr stehen,
wieder liegen wir wie Vieh auf dem Feld
unter freiem Himmel. Warum müssen wir
dieses Leid ertragen? Was haben wir wehr-
losen Menschen verbrochen? Verpflegung er-
halten wir wieder keine. Martin Speer ver-
lieren wir, ich halte mit Günther Marx zu-
sammen. So sind wir wieder in einem
Schreckenslager gelandet, und der Weg in
die Freiheit ist verschüttet. Den 30.5. regnet
es und es wurde wieder eine Schreckens-
nacht, ohne Schutz auf dem Feld. Löcher
buddeln ist hier verboten worden und wir
sind völlig dem Unwetter ausgeliefert. Lerne
Gerhard Schäfer aus Jauernick kennen. Die
Verpflegung wird immer noch weniger.
Mittags 1/4 l Suppe, abends je ein Löffel
Zucker, Milchpulver und Büchsenfleisch, für
20 Mann ein Brot; das ist die Tagesration.
Wir sind so herabgemagert, daß wir auch
den ganzen Tag auf dem Boden liegen. Ist
es Zufall, daß Günter und ich so oft von

Heimkehr träumen? Wie lange soll dieses
Hundeleben noch gehen? Am 4. ziehen wir
innerhalb des Lagers um, weiter ins Tal
hinunter. Am 5.6. vormittags, ich bin noch
am pennen, heißt es plötzlich 'alle aus
den Gebieten ostwärts Berlin mit Gepäck
nach vorn." Ich mit Gerhard raus und in
Lager 1, nachdem wir registriert wurden.
Was wird nun hier mit uns? Täglich hof-
fen wir auf Abtransport, aber immer ver-
gebens. Am 6.6. abends kommt ein unheim-
liches Gewitter und Orkan, alles wälzt sich
im Lehmdreck. Der 8.6. ganz verregnet, wir
durchweichen im Dreck. Aber abends wird es
besser, Gott hat unser Flehen erhört. Am
Sonntag, dem 10. werden wir endlich verladen,
es heißt nachhause und die Stimmung ist
gut. Aber warum rollen wir der untergehen-
den Sonne nach? Warum winken uns weinend
ein paar Frauen und rufen "kommt bald
wieder"? Wir merken es: es geht nach Frank-
reich und Entlassung war nur Parole. Wir
fahren über Saarbrücken, Metz, Bar le Duc,
Chartres, Le Mans nach Rennes, wo wir am

12. abends ankamen. Endlich ein Dach über
dem Kopf, wenn auch 250 Mann im engen
Zelt, so daß wir sitzend schlafen müssen. Die
Verpflegung ist gut, aber nur im Durchgangs-
lager. Am 14. werden wir registriert, geimpft
und restlos gefilzt, kommen in Cage 15. Die
Verpflegung: früh 1/4l Milchsuppe, Mittags 1/2l
Eintopf und abends 1/5 bis 1/6 Brot. Aber wir
haben Zelte, je 50 Mann ein Zelt. Bin immer
mit Martin Speer zusammen. Lerne Rudi
Veith aus Friedberg kennen. Am 22.6. ziehe ich
ins Revierzelt, wegen Hungertyphus. Ob ich
nochmals rauskomme? Langsame Besserung.
Am 21.6. erfahre ich, daß in Cage 12 Werner Krause
vom Niederdorf ist. Am 25.6. übernimmt der
Franzose das gesamte Lager. Am 24. war nach-
mittags eine kleine Varietéveranstaltung, die
aber wegen der Zählung vorzeitig abgebrochen wer-
den mußte. Ab 25. verpflegt uns der Franzose,
und es wird ganz schlecht. Früh nur Tee in
Form von Wasser, Mittags 3/4l Wasser mit
Boullon und eingebrocktem verschimmeltem
Brot, das man so nicht ausgeben kann,

abends vier Mann ein kleines Weißbrot. Wir
leiden Hunger und bauen die unmöglich-
sten Luftschlösser über Heimkehr und sich
endlich wieder mal satt essen zu können.
Von dieser miesen Verpflegung spüren wir die
Wirkung schon nach Tagen. Wir können uns
kaum noch auf den Beinen halten. Täglich
drei mal Zählung, Landser kippen wie Flie-
gen. Am 4.7. werde ich aus dem Revier entlas-
sen und komme zurück zur 5. Kompanie.
Am 5.7. werde ich mit Martin eingeteilt zum
Brotholen vom Hauptlager und wir empfingen
das erste mal frz. Roggenbrot nach dauerndem
amerik. Weißbrot. Gleichzeitig am 5. bekomme ich
seit der Gefangenschaft das erste mal die Haare
geschnitten und habe Gelegenheit, das erste
mal wieder zu rasieren. Man erzählt, der Russe
habe uns bis zum 25.7. angefordert. Ob das
stimmt? Wir wären überglücklich, wenn dieses
Elend sein Ende haben sollte und wir uns
wieder mal satt essen könnten. In den Morgen-
stunden des 15.4. kommt ein Unwetter, wir ha-
ben Wasser bis an die Knöchel im Zelt. Man
sucht Bergleute und Schlossser, was wird mit
uns?

Ende Juli sind wir ganz abgemagert, man
spricht, wir können bald fort vom Hun-
gerlager Rennes. Am 5.8. früh wurde unser
Cage verladen und fahren über Lasal,
Les Mans, Chartres, Neuilly, Tours nach Chateroux
ins Stammlager, Werden registriert, erhal-
ten Glatze, erhalte die Gefangenennummer
228920. Lagern unter freiem Himmel, spä-
ter in Holzbaracken. Am 26.8. ab, es heißt Ar-
beitseinsatz. In Limoges am 27.8. ausgeladen, und
ein unvergesslicher Marsch von 25km in Glutson-
ne nach St. Paul. Dort wieder Gefangenenleben wie
Chateroux und Rennes. Kam mehrmals mit
Jugendkompanie in die Küche zum schälen
und konnte mich an rohen Mohrrüben und
Kartoffeln sattessen. War 14 Tage in Revierbe-
handlung wegen meiner eitrigen Ferse. Am
21.9. können wir das erste mal schreiben. Mar-
tin Speer, Gerhard Schäfer und Georg Preuß
gehen auf Arbeitskommando. Am 10.10. komme
auch ich mit 71 Mann auf Kommando

nach Argentat an die Dodoque zum Talsper-
renbau. Arbeiten an Sprengungen, sehr
schwere Arbeit, zu schwer für mich und
am 27. freiwillig mit 11 Mann zurück ins
Stammlager nach Tulle; sehr verlaust
und viele Flöhe. Die Kranken und Unterer-
nährten sollen dem Ammi wieder überge-
ben werden. Schlafe auf der Bank, da ich
im Stroh vor Flöhen keine Ruhe finde.
Nach einer Woche ziehen wir in die massi-
ven Baracken, da Lager überfüllt. Warten
auf Transport nach Marseilles zum Ammi,
von dort angeblich entlassen. In den Stein-
baracken ist es sehr kalt und wir frieren
nachts, außerdem kein Licht. Verpflegung:
früh 1/2 L Kaffee, 350g Brot, Mittag und Abend
je 1L Suppe. Am 7.11. haben wir für die
Bude einen eisernen Ofen organisiert und
es wird zum Aushalten. Am 11.11. zum
Bahnhof und Personenzug nach Septeme
bei Marseilles
über Toulouse, Montpellier,
Carcasonne. Am 13. angekommen. Ammi

übernimmt uns. Zeltlager und sehr gute
Verpflegung. Am 14.12. treffe ich Alfred
Menzel aus Neidberg. Werden gefilzt, un-
tersucht, geduscht und entlaust sowie
registriert, erhalte Gefangenennummer
31G-4 113 291 H. Auch Vater Teich aus
Glatz und Paul Queisen aus Schosdorf
sind hier. Leider wird die Verpflegung
weniger. In Comound 17. am 3.1.46 tota-
le Filzung nach Geld und Waffen, zurück
Lager 17. ab 26.1. in Lager 23. Am 4.2.
Marokaner als Posten. Am 5. in Enduse I
Camp 13. Alle Zonen werden schwarz an-
gekleidet und gehen ab, nur wir nicht
Russen-Ost. Immer mit Alfred Menzel
zusammen. Am 16.2. raus, in Lager 2 und
am Nachmittag 8km auf den Bahnhof
gelaufen. Fuhren über Lyon, Dijon, Namur
ins PWE 17 Steney, wo wir am 18.2. anka-
men. 2 Nächte in den Kasernen auf Flur
und Treppe gelegen. Am 20.2. ins
Schlammlager C I. Man spricht Entlassung.

Am 23.2. habe ich Essenentzug und bekom-
me vom Ammi eine Ohrfeige wegen Krach
mit Polizei. Am 25. wieder ins Hauptlager A.
Immer mit Alfred Menzel zusammen. Alfred
Engmann aus Neuschweinitz kommt das
zweite mal zum Franzosen. Am 27.2. ins
C III Lager, wo alles überfüllt. Am 12.3. wieder C I,
ebenfalls alles überfüllt. Am 17.3. Sonntags,
erster Russentransport. Alfred Menzel dabei.
Ich mit 2. Russentransport ab am 24.3. Sonn-
tags. Über Verdun, Mitternacht Reichsgrenze
überquert. Über Mainz, Kreuznach, Frankfurt
nach Marburg a.d. Lahn, wo wir am 25. abends
ankamen. Nachts Waggon geschlafen. Am 26.
ausgeladen und ins Lager. Am 27. vorm. auf
Bahnhof Waggon reinigen, nachmittags er-
halten wir Entlassungsscheine, 40 Mark Ent-
lassungsgeld und sind frei. Aber wohin,
Heimat verloren? Mit Bruno Kutz.

Auszug unserer Verpflegung vom
Hungerlager Rennes

Dat.frühmittagsabends
2.7.451 L Tee1 L Wassersuppe von Sauerkraut150 g Weißbrot ,
1 L Tee
3.7.451 L Kaffee1 L Milchsuppe150 g Weißbrot ,
5 g Fett, 1 L Tee
4.7.451 L Kaffee1 L Wassersuppe von Erbsen150 g Weißbrot ,
1 L Kaffee
5.7.451/2 L Tee,
100 g Brot
3/4 L Haferflockensuppe dünn200 g Roggenbrot ,
1/2 L Tee
6.7.451/2 L Tee3/4 L Haferflockensuppe dünn200 g Roggenbrot ,
1/2 L Tee
7.7.451/2 L Tee3/4 L Haferflockensuppe dünn200 g Roggenbrot ,
10 g Zucker, warmes Wasser
8.7.45warmes Wasser3/4 L Haferflockensuppe dünn200 g Roggenbrot ,
warmes Wasser
9.7.45warmes Wasser3/4 L Haferflockensuppe dünn200 g Roggenbrot ,
warmes Wasser
10.7.45warmes Wasser3/4 L Brotsuppe200 g Roggenbrot ,
warmes Wasser

Meine Lager

LagerZeitArt der UnterbringungDauer
Welder20.4.45 - 26.4.45im Freien1 Woche
Heidesheim27.4.45 - 28.5.45im Freien4 Wochen
Bibelsheim28.5.45 - 10.6.45im Freien2 Wochen
Rennes12.6.45 - 5.8.45im Zelt7 Wochen
Chateraule 1276.8.45 - 26.8.45im Freien/Baracken3 Wochen
St. Paul 12127.8.45 - 10.10.45Baracken6 Wochen
Argentat10.10.45 - 27.10.45Baracken2,5 Wochen
Tulle 12327.10.45 - 11.11.45Baracken2 Wochen
Marseilles 40413.11.45 - 16.2.46im Zelt11,5 Wochen
Stenay 1718.2.46 - 24.3.46im Zelt5 Wochen
Marburg26.3.46 - 27.3.46im Zelt1 Tag

Meine Kameraden

Welder 20.4.45 bis 26.4.45
Richard Dreßler, Langenöls

Heidesheim 27.4.45 bis 28.5.45
Günther Marx, Stettin
Martin Speer, Heiligensee

Bibelsheim 28.5.45 bis 10.6.45
Günther Marx, Stettin
Martin Speer, Heiligensee
Gerhard Schäfer, Jauernick

Rennes 12.6.45 bis 5.8.45
Günther Marx, Stettin
Martin Speer, Heiligensee
Rudolf Veith, Friedberg
Gerhard Schäfer, Jauernick
Günther Schober, Hirschberg
Vater Teich, Glatz
Bruno Beyer, Wiese
Willi Hoffmann, Langenöls

Chaterraule 6.8.45 bis 26.8.45
selbige wie in Rennes

St. Paul 27.8.45 bis 10.10.45
Martin Speer, Heiligensee
Gerhard Schäfer, Jauernick
Georg Preuß, Stuhm/Westpr.
Willi Hoffmann, Langenöls
Bruno Beyer, Wiese
Günther Schober, Hirschberg

Argentat 10.10.45 bis 27.10.45
Günther Wolf, Waldenburg

Tulle 27.10.45 bis 11.11.45
Paul Queißer, Schosdorf

Marseilles 13.11.45 bis 16.2.46
Paul Queißer, Schosdorf
Alfred Menzel, Neidberg
Alfred Engemann, Neuschweinitz
Fritz Weniger, Langenöls
Horst Baumgardt, Langenöls
Vater Teich, Glatz
Martin Lieder, Groß-Lehner
Kurt Reichenbach, Groß-Lehna
Walter Heene, Raguhn
Fritz Krüger, Deutsch-Krone

Stenay 18.2.46 bis 24.3.46
Alfred Menzel, Neidberg
Paul Queißer. Schosdorf
Erich Menz, Marklissa
Bruno Kutz, Wingendorf

Marburg entlassen mit:
Paul Queißer, Schosdorf
Bruno Kutz, Wingendorf

Adressen von Lagerkameraden



Gedicht

CCPWE 404

1. Fern der Heimat in Frankreichs Süden,
Bei der Hafenstadt Marseilles
Liegt versandet eine Wüste,
Drinnen viele Zelte stehn.
Und fragst Du, wer drinnen wohnet
In den Zelten groß und klein?
Drauf die Antwort lautet:
Hier sperrt man Gefangne ein.

2. Schon seit Monden hier gefangen
Hinter hohem Stacheldraht;
Fragen wir uns voll Verlangen:
Ob die Mutti Nachricht hat?
Ob sie weiß, wo wir verweilem
Daß wir noch am Leben sind?
Daß wir wünschen liebe Zeilen,
Von daheim, von Frau und Kind.

3. Als'ne Schwalbe flog nach Richtung Heimatland hinaus,
Bat ich, Grüße mitzunehmen
An den Schatz und an das Elternhaus.
Sag, daß ich sie innig liebe,
Bei ihnen weilt mein ganzer Sinn.
Daß ich sie im Herzen trage
Wenn ich auch gefangen bin.

4. Hab' zu Hause auch ein Plätzchen,
Daß so mollig und so warm.
Weiß ein liebevolles Schätzchen,
Kenne ihren zarten Arm.
Sehe vor mir ihre Augen
In die ich so oft geschaut.
Alles das kann mir nichts taugen,
Hab' darau mein Glück gebaut.

5. Denk' an alle meine Lieben,
Seh' vor mir die Kinderschar.
Wo sind sie nun all' geblieben
In dem schicksalsschweren Jahr?
Traurig fragen nun die Kleinen:
'Vati, kehrst Du nicht bald heim?'
Doch die Mutti sagt mit weinen:
'Er wird wohl Gefangner sein.'

6. Langsam schleichen Tag und Stunden,
Wochen, Monate und Jahr.
Doch der Kummer und die Sorgen
Brechen mir zu früh das Haar.
Sollt' ich als Gefangner sterben
Fern der Heimat so allein,
Kann die Liebe nie verderben
Ich bin stets bei Euch daheim.

Gedichtet in amerikanischer Gefangenschaft im Nov. 1945
in Marseilles

1946

Am 27.3. aus der Kriegsgefangenschaft in
Marburg entlassen. Nachm. ab nach Bebra,
28. dort am Nachmittag ab nach Eisenach in
R-Zone. Am 29. weiter nach Erfurt. Aus der
Gefangenschaft entlassen, nun beginnt ein
neues Elend. Wo soll ich hin, nachdem ich
die Heimat verloren habe? Mit Bruno Kutz
nach Röpsen bei Gera. Zi. dort zum Tanz.
Am 1.4. nach Gera ins Quarantänelager.
Abends mit Liesbeth. Am 2.4. haut Bruno
ab zum Bauern. Am 6. werden wir verlegt
nach Altenburg. Dort bis 20.4. 14 Tage Quaran-
täne bei schlechter Verpflegung und schlech-
ter Unterkunft. Ostersonnabend nach Hild-
burghausen verladen, dort 1. Feiertag ange-
kommen. Am 26.4. aufgeteilt und komme
nach Poppenwind zum Bauern Otto Arnold. Von
dort mußte ich oft für Iwan arbeiten, Maschi-
nen ausbauen oder Kabel ausgraben. Am 17.5.
ins Krankenhaus Eisfeld an Rippelfellent-
zündung. Werde punktiert. Erhalte Verbindung
mit Günther, Herbert, Eltern und Ulla. Lese von
Grenzsperre ins britische Gebiet und lasse mich
so vorzeitig entlassen, um zu Günther zu kommen.

Bei Arnold die Sachen geholt, ab nach
Hildburghausen. Bei Herbert Gläser über-
nachtet, früh beim Landrat. Er schmeißt
mich raus und so fuhr ich schwarz
über Eisenach am 24.6. nach Gotha. Dort
einen Flüchtlingstransport angeschlos-
sen über Leinefelde, Heiligenstadt. Nach
Arenshausen gelaufen. Dort in Scheune
übernachtet. Am 27.6. früh 3 Uhr abmarschiert.
Erst ins amerikanische, dann ins britische.
Um 20 Uhr endlich der lange Fußmarsch
beendet und beim Bauern in Scheune über-
nachtet. Tags darauf mit Omnibus nach
Göttingen, dann mit Bahn nach Goslar zu
Günther und Friedel. Am 4.7. in der Radio-Zentrale
als Antennenleger angefangen zu arbeiten. Dann
im Lager alte Apparate ausgeschlachtet. Am 26.8.
über Sonntag in Barbecke bei Onkel Oswald und
Familie. Sonst verging die Zeit im Arbeitstempo
forsch. Arbeitszeit 7.30 bis 12 und 13.30 bis 18 Uhr.
Am 20.12. mittags ab mit Bahn über
Hildesheim, Hannover, Bielefeld, Hamm, Dortmund
nach Datteln zu Franz und Familie. Ab
Hildesheim Fahrt im D-Zug mit Heidi. Weihnach-
ten und Neujahr in Datteln gut verlebt. Am
1. Feiertag kam Oswald Rudolph mit Jochen mit Tochter Lore.

hier endet das Tagebuch
Wege des Kriegsgefangenen Siegfried Wolf, Rheinwiesenlager Kreuznach und Rennes

An dieser Karte kann man deutlich erkennen, welche sozialen Verschiebungen durch den 2. Weltkrieg bedingt wurden. Nicht nur der Krieg hat Soldaten in die verschiedensten Regionen Europas verbracht, wo einige dann desertierten und blieben. Nicht nur die Zerstörung der Städte, Flucht und Vertreibungen bedingten große europaweite Wanderbewegungen, auch noch nach dem Krieg zogen Kriegsgefangene und ehemalige Kriegsgefangene auf ihrer Suche nach Angehörigen oder nach Arbeitsgelegenheiten quer durch Europa. Einige blieben in den Ländern ihrer Gefangenschaft und gründeten dort eine Familie, andere wanderten nach Süd- und Nordamerika oder Kanada aus. Wieder andere schlossen in Frankreich langfristige Arbeitsverträge ab, um dort der entsetzlichen Gefangenschaft zu entkommen. Wieder andere meldeten sich mangels Lebensperspektive oder, weil sie sich emotional jedweder zivilen Gesellschaft entfremdet hatten, bei der französischen oder spanischen Fremdenlegion. Sie erhielten dort neue Identitäten und schlossen so die Akten ihrer gesamte Vergangenheit inklussive der Beziehung zu ihren Familien.

© Horst Decker




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