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Wörtliche Wiedergabe der Kriegsnovelle von Aldof Köster 'Der Tod in Flandern' aus dem gleichnamigen Kriegsbüchlein, Langens Kriegsbücher 1914.
Ziel solcher Novellen, die in den ersten beiden Kriegsjahren in großer Zahl veröffentlicht wurden, war es, den Idealismus der Jugend in Kriegsbegeisterung und Patriotismus umzumünzen und den Heldentod bis hin zum Lebenssinn zu verklären..


Original Postkarte vom 6. Juni 1915,
zeigt 3 junge Rekruten des 1. Ers. Batl.I.R.136


ab hier der Original-Text
Der Tod in Flandern

Sie waren sehr verschieden und doch immer beieinander - die vier Primaner. Sie gingen gemeinsam zur Schule, aber sie saßen auf sehr verschiedenen Plätzen. Sie zeichneten sich in sehr verschiedenen Fächern aus, aber sowohl in den Pausen wie auf den abendlichen Spaziergängen sah man sie immer beisammen. Sie regelten alles gemeinsam - die mathematischen Aufgaben und die Religion der Zukunft, Liebeskummer und väterliche Konflikte. Es war ganz selbstverständlich, daß alle vier sich bei demselben Regiment meldeten, als der Krieg ausbrach.
     Alle vier wurden angenommen. Das heißt, einen Augenblick sah es so aus, als ob der Budde Beermann zurückgewiesen werden sollte wegen seiner dicken Brille. Aber - wie er später sagte - er riß seine Augen mit aller Gewalt zusammen, und so erreichte er gerade noch die richtigen Buchstaben.
     Sie wurden zehn Wochen lang ausgebildet. Ihre Gestalten wurden noch länger und hagerer. Aber die Uniform machte sie männlich. Ihre Verschiedenheiten schwanden, weil es keine Zeit mehr gab, über sie zu reden. Sie aßen, tranken, schliefen wie nie in ihrem Leben. Und alle ihre weltenweiten Zukunftsträume waren verdichtet zu dem einzigen Wunsch: in diesen unbekannten, lockenden Strudel hinein, der sich "Krieg" nannte.
     Was war der Krieg? Er war auch heute noch jenes problematische Ungeheuer, über das die Primaner in ihrem Diskutierclub "Schiller" sich so oft und so schön gezankt hatten. Aber zugleich war er auch noch etwas anderes geworden: eine Musik und eine flattende Fahne, etwas wie selige Verliebtheit und holder Wahnsinn, eine schimmernde Zukunft - die aber ganz nahe war, und über die kein Erwachsener lachte. Ja, das war die erschütternde Neuigkeit für alle diese jungen Leute: jetzt durfte man öffentlich schwärmen. Man durfte sagen, daß man eine Schlacht entscheiden, daß man höchst eigenhändig mit seiner Bombe das Zelt des russischen Zaren vernichten wolle - und alle nahmen einen ernst, und selbst die ältesten Knacker klatschen in die Hände. So war der Krieg: heut noch war man ein dummer Primaner, dem der Lehrer eine Ohrfeige anzubieten wagte, und morgen stand man in hunderttausend Blättern, und die stolzesten Mädchen kauften sich Bilder von einem und hängten sie in ihrem Zimmer auf. So war der Krieg.
     Bis auf den Sohn des Pastors Kuhn, der auf den Monismus schwur und Chemie studieren wollte, waren sie übrigens alle verliebt. Das heißt mit sehr großen Unterschieden. Budde Beermann liebte zwei junge Mädchen zugleich. Der junge Frerichs betete die Frau des Hilfslehrers an, obschon er nie ein Wort mit ihr geredet hatte. Richtig und ernsthaft verliebt war nur Jürgen Pens - in die einzige Tochter des Pastors.
     Das ist nicht unwichtig. Denn die kleinen und großen Herzensfreuden dieser jungen Leute spielten auch in den Krieg hinein. Und wo in einsamer Stunde ein Zweifel, eine kleine Angst oder nur ein Zurseitespringen der Gedanken auftauchte, da waren es die Bilder dieser Frauen und Mädchen, die alles wieder einrenkten - lockend, drohend, besänftigend.
     So zogen die vier in Reih' und Glied aus dem Städchen aus - alle in derselben Kompanie. Am stolzesten schritt Frerichs dem Bahnhof zu. Denn sein Rivale, der Hilfslehrer, war ein elender Landsturmmann ohne Waffe und brauchte nicht mit. Ja, das war eine Ehre und ein Ruhm, schon bevor es losging, unter den lächelnden Augen einer geliebten Frau durch die Straßen zu ziehen - in Gefahren, Sieg oder Tod.
     Durch ganz Deutschland ging es wie im Triumph. Der ganze Zug war voll von jungen Menschen, die kaum zwanzig Jahre zählten. Alles durcheinander, Primaner, Studenten, Bauern, Arbeiter und Kaufleute. Die Männer und Frauen auf den Bahnhöfen, an den Chausseeübergängen, in den Straßen der Städte - sie winkten und jubelten. Nur einige alte Leute, die diesen Strom von Jugend sahen, zogen das Taschentuch und weinten.
     Kurz hinter der belgischen Grenze sahen die die ersten Verwundeten. Es waren zunächst zwei junge frischgebackene Leutnants. Der eine hatte den ganzen Kopf in Watte, der andere hatte den Arm verbunden. Sie hatten ihren Zug verlassen und gingen auf dem Bahnsteig auf und ab. Die vier Primaner standen stramm vor ihrem Waggon. O, wie bewunderten sie diese beiden Helden. Und ohne daß sie etwas sagten, dachte ein jeder: "Ach. käme ich mit solchen Ehren heim!"

Fortsetzung folgt

          Adolf Köster


© Horst Decker



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