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Wörtliche Wiedergabe der Kriegspredigt Bußtag 1916 von Professor theol. D. Alfred Uckeley, Königsberg


Mit Gott durch Kampf zum Sieg!

Bußtag
Psalm 130, 3-5: So du willst, Herr, Sünden zurechnen, Herr, wer wird
bestehen? Denn bei dir ist die Vergebung, daß man dich fürchte.

      Landes=Buß und Bettag - da sollen die beiden Stücke, ohne die Keiner
Christentum erleben und das Evangelium in seinem Kernpunkt begreifen und
ergreifen kann: Sünde und Gnade, dem ganzen Volke, sofern es sich von der
Predigt und der Kirche doch will beikommen lassen, recht deutlich vor die Seele
gestellt werden ... unsere Sünde, die uns von Gott immer wieder getrennt hat,
und seine Gnade, mit der er uns dennoch immer wieder zu sich heranholt ...
unsere Sünde, in dem wir sprechen: Ich elender Mensch; auf tausend kann ich nicht
eins antworten; meine Sünden gehen über mein Haupt, wie eine schwere Last
sind sie mir zu schwer geworden! und seine Gnade, die uns verkündigen läßt: Also
hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die
an ihn glauben, nicht verloren werden. Seine Sünde klar und deutlich begreifen,
und die Vergebung der Sünde fest und zuversichtlich ergreifen: das ist das Wesen
des Christentums.
      Dazu hält uns der Bußtag ganz besonders nachdrücklich an. Er läßt uns die
harte Last unserer Lebensschuld auf die Seele fallen, aber nur, um uns dadurch
geschickt und willig werden zu lassen, dem, der sein Leben zu einer Erlösung für
uns eingesetzt hat, mit dem großen Vertrauen begegnen, das er haben will,
und das, weil man allein nicht weitergehen mag, nicht einen Schritt, die
weitere Leitung und Führung des Lebens in seine Hände legt. Das will uns der
Bußtag klarmachen und uns davon, so gut es geht, überzeugen, daß wir, solange
wir unser Leben nach eigenem Geschmack, Willen und Neigung führen, in Schuld,
Unglück und Seelenschmerz hineinfallen, daß wir aber dann erst frohe und innerlich
glückliche Leute werden, wenn wir uns von Gott durch sein Wort und seinen Geist
leiten und in Gehorsam nehmen lassen. Der Moment, mit dem dieses große,
uns durchgreifend innerlich wandelnde Erlebnis bei uns beginnt, ist die tiefe,
innigst empfundene und aufrichtig ausgesprochene Bitte um Vergebung der
bisherigen Lebensschuld, die uns erwachsen ist, denn die kann gar nicht anders

gehen als ähnlich, wie der Dichter es ausspricht: Was ich gelebt hab', das decke zu:
was ich noch leben werd', regiere du!
      Es handelt sich ja am Bußtag nicht nur um den sich erinnernden Blick an
diese oder jene unüberlegte, lieblose, häßliche. gottlose Tat - auch nicht einmal um
das Gedenken an eine ganze Menge solcher Handlungsweisen, sondern es handelt
sich darum, daß wir einsehen lernen, wie sie alle aus einer gemeinsamen Wurzel
kommen, aus einer vergifteten Quelle. Es ist das die Freude und Lust am Bösen,
die in uns steckt, die unsern Willen uns von klein auf vergiftet, die durch
Erziehung oder Selbstsucht bei diesem mehr als beim anderen niedergehalten und
unterdrückt wird, die aber doch in gegebenen Momenten des Lebens sich äußert
und von uns selbst bemerkt wird oder von denen, die mit uns zu leben haben.
"Das radikale Böse" sagt Kant, der große Königsberger Philosoph. "Alles Dichten
und Trachten des Menschenherzens ist böse von Jugend auf," so hat viele tausend
Jahre vor ihm ein Frommer in Israel dieselbe Erkenntnis formuliert.
      Wonach sehnt sich so kräftig und so zäh das Herz, der Wille des natürlichen
Menschen? Ist's nicht nach all dem, was Gottes Wort und Menschen Gewissen
verbietet und versagt? Wie würden sonst "die Werke des Fleisches": Unreinigkeit,
Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zwietracht, Haß, Unwahrhaftigkeit und
dergl. einen so weiten Raum in der inneren Lebensgeschichte des Menschen, wie
er von Natur ist, einnehmen? Müssen wir das aber als ehrliche Leute, als Menschen
mit Sinn und Mut für die Wirklichkeit, uns eingestehen, dann verstehen wir auch das
Wort des Psalmisten: So du willst, Herr, Sünden zurechnen, Herr, wer wird be=
stehen? Es erscheint uns dann nicht als ein Wort, das einen Tatbestand ausspricht,
der nun einmal leider in der Welt da ist, sondern es ist uns dann ein Licht, ein
heller, greller Blitz, der auf unser ganzes bisheriges Leben fällt und es unheimlich
innerlich genötigt sieht, und wer ihn als den "Heiligen kennt, dem gottlos Wesen
nicht gefällt," der bebt, wenn er in stillem Nachdenken sich in seinen Charakter ver=
senkt, und sich dabei klar werden läßt, welche Töne, welche Stimmen, welche
Neigungen da die bestimmenden sind. Herr, so du Sünden zurechnen wirst - und
mein Gewissen bezeugt mir und dein Wort sagt mir, daß du es tust - Herr, wer
kann bestehen? Ich sicherlich nicht.
      Lieber Freund, ich halte hier beim Schreiben an, und tu du es beim Lesen
auch, und wir wollen diese Gedanken ruhig und kräftig in ihrem ganzen Ernst
und ihrer vollen Wucht auf uns wirken lassen. Es schadet nichts, es ist uns vielmehr
heilsam und nötig, daß wir uns von ihnen niederdrücken und kleinlaut machen
lassen.
      Denn nur dann werden wir fähig, ohne Schaden das andere Wort zu hören,
das uns am Bußtag aufrichten kann und soll, das Wort des Psalmisten: "Bei
dir, Gott, ist Vergebung." Du vergibst Missetat, Übertretung und Sünde.
Dies Wort will ein erquickender Segen sein für zerschlagene Gemüter. Wer es
aber allzuschnell in seine Seele hineinfallen läßt, ohne daß der Boden des Herzens

erst durch Angst und Leid weich wurde wegen unserer gottlosen, lieblosen natür=
lichen Charakteranlage, die uns kein Glück und unserem Nächsten keinen Segen
eingebracht hat, der erlebt dasselbe, was der Landmann sieht, wenn Regen auf
harten, festen Boden fällt: er dringt nicht ein, er läuft bald wieder davon ab, er
trocknet auf, ohne daß das Land etwas bleibendes davon haben kann. Ohne
Bild geredet: Trösten wir uns allzuschnell dessen, daß Gott ja gern vergibt; daß
Jesus alles gut gemacht hat, was wir schlecht gemacht haben; daß ein schnell und
oberflächlich empfundenes: "Vergib uns unsere Schuld" alsbald die göttliche Ver=
sicherung zur Gegengabe habe: "Sei getrost, dir sind deine Sünden vergeben" -
so erlebt man, daß solch Trost nicht haftet, uns nicht bessert, keine sittliche Kraft,
die uns aufhilft und neu gestaltet, uns zuträgt. Es bleibt danach alles, wie es war.
      Aber wer wirklich einmal "aus der Tiefe" seiner Seelennot besorgt war um
die Frage, wie er einen gnädigen Gott bekomme, wem das einmal wirklich ernst=
lich die Sorge seiner Sorgen gewesen ist, der weiß den Trost zu schätzen, tief in sich
aufzunehmen, innerlich eindringlich zu verarbeiten - den Trost, der in der Bot=
schaft liegt: "Bei dir, Gott, ist die Vergebung." Denn das klingt ihm nun nicht
mehr als etwas Abgegriffenes, Alltägliches entgegen, sondern das ist ihm in seine
"Tiefe", seine "tiefe Not" hinein eine Stimme von den Bergen her, von denen
Hilfe kommt; das ist ihm ein Rettungsseil, das er ergreifen kann, ein fester Halt,
der vor dem Versinken in Angst und Verzweiflung bewahrt.
      Nicht jedem ist solch tiefes Erleben dieses Bibelworts, daß "Gott alle unsere
Sünden vergibt" beschieden. Manchem, auch wohl unter den Lesern dieses Blattes,
dünkt das eine unverständliche, fremdartige Sache, die er in sein inneres Erleben
nicht einordnen, mit der er da nichts anfangen kann. Aber solchen zuliebe darf
die Wahrheit und Tiefe der religiösen inneren Vorgänge nicht abgeschwächt und
abgeblaßt werden. Und die vielen tieferen Geister, die ernsten Gemüter, die durch
aufrichtiges Selbstgericht und Selbstverurteilung in stillen Bußtagsstunden je und
dann hindurchgegangen sind, bezeugen es immer wieder, wie ihnen dann, als
sie "ihr Nichts und Verderben sahn", die Botschaft von der Vergebung ihrer
Sünden über die Maßen wertvoll, ja einzigartig kostbar geworden ist, und dann
dauernd geblieben ist.
      Das ist nun das Eigenartige dieser inneren Erfahrungen, die der Psalmist
uns beschreibt, daß sie in eine neue, andere, glücklichere und seeligere Art der Lebens=
führung hineingleiten, nicht mit einem Male, zauberhaft unseren Charakter ver=
wandelnd, aber allmählich; je länger desto durchgreifender. Denn "daß man ihn
fürchte", ist die Absicht Gottes mit uns, wenn er so freundlich an unserer Seele
handelt.
      Gottesfurcht soll an die Stelle der Gottesangst, Gottesvertrauen an die Stelle
der Gottentfremdung, Gehorsam an die Stelle jener bisherigen unheilvollen
Eigenwilligkeit treten. Aus dem Leben des natürlichen Menschen soll ein Leben
werden, wie Gott es haben will, das "tut nach seinem Wohlgefallen", dafür aber
auch "auf ebener Bahn" dahingerecht. Denn nach Gottes Wort leben und von

seinem Geist sich regieren lassen, schafft Friede und Freude ins Herz, gibt ein
sogenloses Dasein für die Lebensjahre und einen seligen Frieden für die Sterbe=
stunde und einen lichten Ausblick in die Himmelseligkeit hinein.
      Buße und Umkehr, Abkehr von eigenen, natürlichen Gelüst, und Hinkehr
zum völligen, ehrlichen Gehorsam gegen Gott, ist seliger Tausch, ist eine "Reue,
die niemand gereuet," ist Bußtagssegen, für den man noch in der Ewigkeit danken
wird.

Aus tiefer Not schrei ich zu dir,
Herr Gott, erhör' mein Rufen.
Dein gnädig' Ohr neig' her zu mir
Und meiner Bitt' es öffne,
Denn so du willst das sehen an,
Was Sünd' und Unrecht ist getan,
Wer kann, Herr, von dir bleiben?

Bei dir gilt nichts, denn Gnad' und Gunst,
Die Sünden zu vergeben;
Es ist doch unser Tun umsonst
Auch in dem besten Leben.
Vor dir niemand sich rühmen kann.
Es muß dich fürchten jedermann
Und deiner Gnade leben.
Amen



© Horst Decker



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