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Wörtliche Wiedergabe der Kriegsnovelle von Aldof Köster 'Der Feldprediger', Langens Kriegsbücher 1914 - 'Tod in Flandern'.
Natürlich gibt eine Novelle eines Schriftstellers nicht die Wirklichkeit und die Ansicht eines Pfarrers wieder, sondern legt sie ihm lediglich in den Mund. Jedoch zeigt diese (literarisch unterwertige) Kurzgeschichte, was das Land und das Militär von Feldpredigern erwarteten, nämlich, die Soldaten aufzurufen, nicht zu zaudern ihre Feinde umzubringen und zwar so viele wie möglich. Und, man kann es sich vorstellen, nicht jeder Feldprediger erfüllte diese an ihn gestellte Aufgabe nicht.

ab hier der Original-Text
Der Feldprediger

Nein - so ging es nicht weiter. Das sagte er
selber. Seine bisherigen Feldpredigten hatten
gar keinen Erfolg gehabt. Die Offiziere blieben aus,
und die Soldaten schliefen stehend. Der Gesang blieb
matt, und überhaupt - er sollte ein Führer sein und
ein Herold, und statt dessen kam er sich vor wie ein
fünftes Wagenrad.
      Der junge Divisionspfarrer nahm es sehr ernst mit
seinem Kriegsberuf. Er nahm es um so ernster, als er
im Anfang des Krieges manche Zweifel an sich selber
gehegt hatte. Sein Christentum war das Christen-
tum des schönen und milden Geistes. Konnte er hof-
fen, mit diesem Christentum sein Heer von Kriegern
zu begeistern?
      Aber er wollte sie ja gar nicht begeistern. Sondern
er hatte sich im Gegenteil vorgenommen, ihre 'bru-
talen, kriegerischen Instinkte' zu dämpfen, nur das
Gute und Edle oder das Andenken daran in den Herzen
der Krieger zu pflegen, alles Schöne und Humane
hinüberzuretten gewissermaßen aus 'diesen Tagen der
Roheit', wie er sie nannte, in die kommenden des
Friedens. So faßte er seine Aufgabe auf.
      Und nun war er gescheitert. Das fühlte
er. Niemand wollte etwas wissen von seinen Idealen.
Ja es war noch schlimmer: er selbst verzweifelte an
der Richtigkeit dieser Ideale. Und sie erschienen ihm

dünn wie Spinnenweben und klanglos wie Narren-
schellen. Er war in der Gefahr, sich griesgrämig in
sich selber zurückzuziehen - da klopfte es, und der
Hauptmann trat herein.
      'Guten Abend, Mann Gottes - gratulieren Sie
gefälligst unsern Leuten - wir haben das englische
Pack in den Fluß gebimst. Und das Ufer ist unser.'
     Der Feldprediger gratulierte. Aber der Hauptmann
sah ihn von der Seite an.
     'Sie sind unzufrieden, junger Mann? Keine guten
Nachrichten von der Heimat? Oder wird auch Ihnen
der Kampf hier zu lange, wie?'
     'Oh nein' - antwortete der Pfarrer - 'aber ich
frage mich jetzt manchmal, was ich hier soll. Und
alles antwortet mir: mein Evangelium ist hier über-
flüssig.'
     'Also gewissermaßen Berufsleidweh, mein Lieber,
nicht wahr?' Und der Hauptmann setzte sich ihm
gegenüber. 'Na ja - ich kann's verstehen. Inter
arma silent musae - heißt es ja wohl, nicht wahr?
Aber Sie müssen die Flinte nicht gleich ins Korn wer-
fen, junger Freund. Sondern Sie sollten wirklich
versuchen, Ihr Christentum etwas, na - sagen wir -
militärischer zu machen. Wissen Sie, als Leutnant
hatten wir einen alten Divisionspfarrer - einen un-
vergesslichen Menschen. Wie ein Feldwebel brüllte er
am Sonntag die Soldaten an. Und alles saß stramm
in der Kirche. Und dabei war er im Grunde ein

herzensguter Kerl, der starb, indem er einem Kinde
das Leben rettete.'
      'Glauben Sie denn, Herr Hauptmann, daß das
Predigen hier überhaupt Sinn und Zweck hat?'
     'Aber einen ganz gewaltigen, mein Lieber, von
dem Sie als Fachmann vielleicht gar keine Ahnung
haben. Schon der Soldat im Frieden - er sei reli-
giös oder nicht - er hungert nach einer jeden geistigen
Anregung, die er nur erlangen kann. Nun gar im
Kriege. Sie glauben ja gar nicht, Mann Gottes, was
Sie so des Sonntagmorgens in der Hand haben. Sie
können durch eine Predigt tausend erwachsene Men-
schen für Tage lang entmutigen. Aber Sie können
ihnen auch eine Festigkeit und einen Rückhalt geben
- na, sagen wir mal - wie eine Art geistige Feld-
küche.'
     Der Prediger seufzte.
     Dann sprachen sie von der großen Schlacht und von
den neuen Dum-Dumgeschossen der Engländer, von
Umfassungs- und Durchbruchversuchen, von Wetter
und Abendessen.
     Am nächsten Sonntag war wieder Feldgottesdienst
auf dem Marktplatz.
     Das Städtchen sah alt und düster aus. In der
Mitte des Marktes stand ein Denkmal - ringsum
die alten Gildehäuser mit ihren gotischen Fassaden
und Giebeln. Vor dem Denkmal hatte man zwei
Geschütze aufgefahren - dazwischen war der Altar
hergerichtet - umstellt mit Lorbeerbäumen. Der

ganze Platz war voll von Soldaten - grau - grau
- grau. Aber die hatten die Helmüberzüge abgetan,
und so blitzten die Spitzen der Helme in der Vormit-
tagssonne. Der Prediger stand etwas hoch, und die
Soldaten glichen einem Wald von goldenen Spitzen.
     Gerade vor dem Prediger stand ein bärtiger Land-
wehrmann. Durch irgend etwas fiel er auf. Er sah
trotz seiner Sonntagskleidung etwas schäbig aus. Das
Antlitz war bleich - der Bart wild. Die Augen lagen
tief. In dem ganzen Gesicht, das nicht übermäßig
intelligent war, ein Zug von Schmerz. Er stand etwas
schief. Vielleicht fiel es ihm schwer, so lange zu stehen.
     Der Prediger begann wie sonst - langsam, feier-
lich. Da fiel sein Blick auf den Soldaten. Und plötz-
lich ward er verlegen - so fragend, so bedürftig
blickte dieser zu ihm auf. Er fühlte sich von ihm ge-
troffen und empfand ihn wie ein Vorwurf. Und
wie um sich zu verteidigen, wurde der Ton des Pfar-
rers mit einem Male wärmer, seine Worte und seine
Bilder lebendiger. Er sprach von der bitteren und
ewigen Notwendigkeit des Kampfes zwischen Baum
und Baum, zwischen Tier und Tier, zwischen Mensch
und Mensch.
     Die Soldaten horchten auf. Das war eine neue
Predigt. Sie stießen sich an. Alles blickte zu dem
Prediger auf. Die Sonne spielte auf den blanken Hel-
men, auf dem Gold der alten Fassaden, auf dem
Rohr der Kanonen. Aber der Prediger sah dies nicht.
Er sah nur den Landwehrmann in der ersten Reihe.

Dessen Augen begannen lebendig zu werden. Er hatte
sich aufgerichtet. Jedes Wort des Pfarrers schien ihm
neues Leben zuzuführen.
     'Ja - so war es, Kameraden - wir verachten
den Krieg. Noch als wir auszogen, da verachteten wir
ihn. Aber nun, wo wir wisssen, wie schwer er ist, nun
lieben wir den Krieg. Wir lieben das Hin und Her
dieser großen Wage zwischen Leben und Tod. Wir
lieben den Abendstern, der uns den Tag, wir lieben den
Morgenstern, der uns die Nacht noch lebend sehen ließ.
Wir lieben das harte Brot und danken Gott für klares
Wasser. Wir bewundern die Kraft, auch die rohe
Kraft, und eine gesunde Faust erfreut uns mehr als
das schönste Gedicht. Der Herr segne unsere Leiber,
daß sie nimmer müde werden.'
     Der Prediger redete sich immer tiefer hinein. Er
spürte ungekannte Mächte kommen - tief aus seinem
Inneren - oder aus den Gesichtern der Soldaten -
oder aus den alten Denkmälern des Platzes ringsum.
Denn alles ward plötzlich lebendig. Die engen Gassen,
die hier mündeten, füllten sich mit Kriegsknechten.
Die Glocke in der Tuchhalle läutete Sturm. Und die
Waffen klirrten. Er sah das Meer der goldenen Spitzen
hinfluten bis ans Ende der Welt. Und seine Rede
wurde immer heftiger.
     'Habt auch keinen Schrecken vor euch selber, wenn
ihr die Feinde zu Dutzenden erschlagt. Sondern denkt,
daß sie es mit euch nicht anders machen, sobald
sie können. Und habt keine Angst vor Gott. Denn

dieser Todesdienst ist heilig. Heilig ist auch der Haß,
der eure Seelen feurig macht. Laßt diesen Haß nicht
erlöschen in euch. Denn nur mit diesem Hass könnt
ihr siegen...
     Sollte aber einen von euch der Gedanke durch-
huschen: Was tat mir dieser fremde Mensch, daß ich
ihn töte? - zurück mit diesem faulen Gedanken! Auch
eure Brüder und Väter erschlagen euch heute, sobald
sie drüben aus dem Graben springen. Schlagt sie tot
- sonst schlagen sie euch! Und wenn nicht anders -
so tut es mit abgewandtem Gesicht.
     Das Evangelium des Friedens lautet: Glaube,
Liebe, Hoffnung. Im Kriege aber lautet es: Mut,
Kraft und Haß.
     Und der Herr schenkte uns Haß, daß wir wollen,
Mut, daß wir können, und Kraft, daß wir schlagen.'
     In diesem Augenblick bildeten die tausend Soldaten
ein Auge, ein Leib, ein Hirn, ein Herz. Der Land-
wehrmann stand wie aus Stein gemeißelt. Und als
der Prediger geendet hatte, ging es wie ein Seufzer
durch die Reihen der Krieger. Aber der Choral, der
nun folgte, stürmte wie ein Angriff gen Himmel.
     Am Nachmittage traf der Pfarrer den Hauptmann.
     'Ich gratuliere Ihnen, Mann Gottes - das war
berauschend. Das war wie Tau auf unsere armen
Seelen."
     Der Prediger winkte ab.
     'Nein, nein, Herr Hauptmann. Es war vielmehr
Wahnsinn. Ich fühlte es sofort, nachdem ich geendet

hatte. Sagen Sie mir - glauben Sie, daß Gott
uns das verzeihen wird, wenn der Krieg zu Ende ist?'
      "Er wird es uns verzeihen. Denn Gott ist immer mit
den Ordentlichen. Darum müssen wir siegen. Wenn
wir aber siegen wollen, dann brauchen wir schöne Ka-
nonen und einen schönen Haß. Lassen Sie die Pastoren
zu Hause schwätzen - die mit und ohne Talar.
Haben Sie schon einmal gehört, daß man im Sturm-
angriff einen Menschen mit der sogenannten Humani-
tät totschlägt?"
          Adolf Köster


© Horst Decker



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