Friedesgedicht aus Berlin, Januar 1945

Das Gedicht stammt aus dem Haushalt A. Andrea aus Berlin. In unbekannter Weise war die Familie Andrea in hohem Maße mit der Entwicklung der Luftfahrt verbunden. Bekannte Piloten gingen im Haus der Familie ein und aus. Im Gästebuch befinden sich Einträge aus dem Jahr 1927von Elly Beinhorn, die - später selbst weltberühmte Fliegerin - sich bewundernd über die Anwesenheit berühmter Flieger äußerte, und ein Eintrag von den Piloten Clarence Chamberlin und Charles Levin, die unmittelbar nach Charles Lindbergh den Atlantik überquerten und die Strecke New York - Berlin-Cottbus zurücklegten und damit den Streckenrekord innehatten. Sicher war die Familie mit der Obersten Führung der deutschen Luftwaffe persönlich gut bekannt. Das Friedensgedicht wirkt angesichts der in Berlin spürbaren Niederlage Deutschlands fast defätistisch, denn zu diesem Zeitpunkt bedeutete der Wunsch nach Friede, die militärische Niederlage Deutschlands herbei zu sehnen.
Der Autor des Gedichts ist unbekannt. Es ist wie überliefert wiedergegeben, ohne dessen Schwachstellen im Versmaß zu beseitigen.


Wann ist Frieden in Berlin

Wenn der Funkturm wieder blinkt,
Alles Bohnenkaffee trinkt,
Wir das Trinken und das Rauchen,
Nicht mehr zu versteuern brauchen,
Wenn wir wieder uns bekleiden
Ohne Punkte abzuschneiden,
Jedes Auto tankt Benzin,
Dann ist Frieden in Berlin.

Wenn du Fleisch vom Rind und Schwein
Kartenfrei holst wieder ein,
Wenn wir Butterstullen streichen,
Ohne Angst, es könnt nicht reichen,
Wenn Du Bückling, Flunder, Hummer,
Kaufen kannst dann ohne Nummer,
Gänse nicht im Geist vorüberziehen,
Dann ist Frieden in Berlin.

Wenn Du nicht mehr beim Verschenken,
Mußt an deine Punkte denken.
Wenn der ganze Kartenkram,
Sein verdientes Ende nahm.
Wenn wir nicht mehr heimwärts tasten
Schwarz die Nacht wie'n Kohlenkasten.
Alle Lampen wieder glühn.
Dann ist wieder Frieden in Berlin.

Wenn es wieder gibt Pralinen,
Wenn es wieder gibt Produkt von Bienen,
Wenn man morgens trinkt Kakao,
Wenn man ruht bei seiner Frau,
Ohne, daß bei süßem Stönen,
Plötzlich die Sirenen tönen,
Nicht mehr halbnackt muß nach unten Fliehen,
Dann ist Frieden in Berlin.

© Horst Decker