Brief von der Ostfront an Ehefrau in Frankfurt/Main, geschrieben 31. März 1945

31.III. 45
Ostersonnabend

Meine liebe, gute Frau und
mein liebes, kleines Töchterchen!
Heute nun ist mal ein Tag im
Schreiben übersprungen. In Gedanken ist
das aber keineswegs der Fall. Im Gegen-
teil!
Am gestrigen Karfreitag war ich von früh
bis in die tiefe Nacht hinein und bis
heute morgen unterwegs.
In der Dämmerung schon war ich aufge-
standen, hatte ein Kommando zum Ab-
holen von Pferden und Hafer aufgestellt
und sollte auf ein deutsches Gut, was
unmittelbar vor Einnahme durch die
Russen stand, von den wehrwichtigen
Gütern befreien und zwar auf anständige
Art u. Weise, d.h. alles mußte mit
Übernahmebescheinigung bestätigt worden
sein.

Wir kamen an und da war schon
kein Pferd mehr vorhanden, weil offen-
bar die Arbeiter des Gutes Lunte ge-
rochen hatten und in der Nacht alle
beiseite geschafft hatten.
Da stand ich nun mit meiner Kunst
und mußte mir erzählen lassen, daß
alle Gebäude in der Nacht von durch-
ziehenden Soldaten aufgebrochen und
das Brauchbare weggeschleppt worden
sei.
Hafer konnten wir jedoch noch auf unseren
LKW laden.
Dabei erschien plötzlich ein General, der
auf diesem Gute schöne Tage verlebt zu
haben schien. Er promenierte mit einer
Gutsfrau im Park, um sich zu verabschieden
und erschien auch plötzlich voller Zorn vor
mir, um mich wegen der angeblichen Wegnahme

eines wertvollen Zuchttieres verantwortlich zu
machen. Ich konnte ihm jedoch auch
deutlich Rede und Antwort stehen, so
daß der Zorn sehr bald verebbte und
in das Gegenteil umschlug, in Gleichgül-
tigkeit. So klein und bedeutungslos wie dieses
Vorkommen an sich ist, so aufschlußreich
ist es für die jetzige Stimmung und Lage
in unserm deutschen Heer.
Unsicherheit, Ziellosigkeit und Haltlosigkeit
treiben in jeder Lage merkwürdigste Blüten,
weil eben kein Mensch mehr weiß, wozu
oder wohin unsere Wege noch führen.
Das nun schon mehrmal angekündigte
'Osterwunder' ist bislang noch ausgeblieben.
So, wie sich hier alles anhört, kann
man auch nicht mehr daran glauben.
Gestern Abend war ich Stunden bei einem
slowakischen Pfarrer, der - mit einem gute
Pfünde veranschaulichenden Spitzbauch und schnu-
pfenderweise - mir das Unglück seiner Bauern
erzählte und am Schluß noch halb ankla-
gend fragte, wozu und warum das Alles?
In der Nacht marschierten wir weiter und
kamen bei Tage in die Gegend von
Nasdra und Dreistadl, weißt Du, wo ich
am Anfang der jetzigen slowakischen Zeit
weilte.
Na und hier warten wir wiederum auf den
Abmarschbefehl; denn in nicht sehr großer Ent-
fernung hört man schon wieder MG-, Gewehr-
und Granatwerferfeuer. Als Morgengruß schickte
zudem der Iwan einen Bomberverband in
unser Gebiet. Eine deutsche Fliegerabwehr gibt
es ja kaum noch.
An alledem magst Du wohl eine gewisse Besorg-
nis in punkto Betrachtung der allgemeinen Lage
erkennen, ich will das aber keinesfalls bezüglich
unserer beider Lage anerkennen. Vielmehr will
ich Dich nach wie vor in meine Arme schließen,
Dich verliebt anschauen und mit innigsten Bekennt-
nissen zueinander mit Dir sein. Viele liebe
Küsse und recht herzliche Grüße an Euch alle, Dein Wolf.

© Horst Decker