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Brief nach der Ankunft in Ungarn an Ehefrau in Frankfurt/Main, 21. November 1944

Die Truppe, der Dr. Schneider angehört, hatte sich wegen den anrückenden englischen Truppen aus der französischen Somme-Region zurückgezogen und wurde von dort an die Grenzregion Slowakei-Ungarn verlegt.
Mittlerweile ist sie bereits in Ungarn. Die militärische Lage der Wehrmacht im Osten wird durch den Vormarsch der Sowjetarmee bestimmt.


O.U. d. 21.XI.44

Meine liebes Frauchen!
Eben habe ich Hasenbraten mit Knödeln
vertilgt, ein fabelhaftes Essen, von der Mannschaft
zurechtgemacht.
Ich habe mir es aber auch redlich verdient.
Ohne viel Frühstück habe ich mich gegen 7'
früh auf mein Pferd geschwungen und habe
mich zur nächsten mit Autos befahrbaren
Straße begeben. Dort erwartete mich ein kleiner
DKW-Wagen, mit dem es zur Veterinärkom-
-panie ging, zur Pferdeverteilung. Ca. 800 Pferde
waren am Platze. 275 bekamen wir davon, je-
-doch alles kleinere und kleinste Pferde, für
unsre schwere Artillerie garnicht das Rechte.
Mit der Bemerkung, im 6. Kriegsjahr gibt
es halt nichts anderes mehr, mußten wir
uns zufrieden geben und zogen von dan-
-nen.
Lange genug dauerte es schon, bis alles ver-
-teilt war, zudem ich den ganzen Schwung

wiederum für das Regiment bzw. die Abtei-
-lungen aufteilen mußte.
Auf dem Rückweg galt es, bei der Division
und der Ortskommandantur, wo das Pferdekom-
-mando auf dem Marsch zu uns übernach-
-ten sollte, kurz haltzumachen.
An beiden Stellen erfuhr ich, daß der Russe
auf die Insel durchgebrochen sei. Alles
war recht mutlos und verzagt, eine Gemüts-
-verfassung, die garnicht recht zu unseren
Siegesaussichten paßte. Es ist das eine sicher
traurige Feststellung, die ich da an verschie-
-denen Stellen machte. Frauchen, ich glaube,
Du wirst mich da richtig verstehen. Aber so
werden wir nicht die Gewinner.
Bei der ganzen Geschichte haben sich
unsere Bundesgenossen auch nicht gerade sehr
zuverlässig erwiesen. Ein Großteil soll wieder
übergelaufen sein. Warum, habe ich Dir
schon früher einmal erläutert. Es ist bedauer-
-lich, das von Ungarn erzählt zu bekom-

-men.
Bei unsrer Rückfahrt kamen wir in den Rück-
-zugstrubel der Russen und in das Umgruppieren
neuer Einsatzreserven hinein. Ein Marschbetrieb
war auf den Straßen. Ob die Donau, an
der wir entlang fuhren, morgen die HKL
sein wird? Ich will es nicht hoffen.
Bei alldem ist der Russe mit seinen
kleinen Bombern in der Nacht unheimlich
rege. Dauernd brummt einer über uns in
der Luft. Der heutige helle Mondenschein
ist ja auch das richtige Fliegerwetter.
Nun willst Du aber sicher noch wissen,
wieso ich mir das gute Abendbrot ver-
-dient habe. Erstens habe ich schlecht zu
mittag gegessen, zweitens war ich dauernd
draußen und unterwegs, wobei es recht kühl
war und drittens bin ich den Anmarschweg
zur Straße zurückgelaufen, ein ganz ordentliches
Stück Weg. Nach 20' war ich müde und hungrig
"zu Hause" angelangt. Gönnst Du mir also

das gute Essen? Ja, noch mehr, ich nehme
sogar ein paar ganz liebe Busserl als
Nachtisch in Anspruch.
Mit der Post von Dir ist's noch immer
nichts. Es ist doch merkwürdig, daß das
aus dem Westen so schlecht herankommt.
Hoffentlich ist's umgekehrt nicht ebenso;
denn Du sollst doch in diesen Tagen
besonders deutlich zu wissen kriegen, daß
ich mit meinen Gedanken dauernd bei
Dir bin.
Meine Prophezeihung mit unserem Ortswechsel wird
ja wohl nach der Entwicklung der Dinge
bald Tatsache werden. Wie oft werde ich
also an dem Schreibtisch sitzen können oder
in dem molligen Bett schlafen? Vielleicht
morgen abend schon nicht mehr.
Drum will ich mich auch heute noch mal
richtig auspennen. Ich und Du bist dabei,
wir kuscheln uns an - und ineinander, schmu-
-sen ein bissel und küssen uns ganz innig
ab, Du und
          Dein Schneider

© Horst Decker





     




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