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Brief von der slowakisch-ungarischen Grenze bei Sered an Ehefrau in Frankfurt/Main, geschrieben am 2. November 1944, aus dem nach Hause geschickten Päckchen sind Lebensmittel verschwunden

Die Truppe, der Dr. Schneider angehört, hat sich wegen den anrückenden englischen Truppen aus der französischen Somme-Region zurückgezogen und ist nun in der Grenzregion Slowakei-Ungarn stationiert.
Dr. Schneider hat ein Päckchen nach Hause geschickt, von dem ein Teil des Inhalts, vor allem Fett, geplündert wurde.


O.U. d. 2. XI.44

Meine liebe, gute Frau!
Heute nun bin ich schier überflutet worden
von lieber Post von Dir.
Es ist doch immer wieder unheimlich, festzustellen,
welch Einfluß und Wirkung Nachrichten und Wissen
vom meist- und eigentlich doch allein geliebten Men-
-schen vermitteln können.
4 Briefe bekam ich heute von Dir. Sie zu beant-
-worten fällt mir auf einmal tatsächlich schwer.
Einiges Wichtige will ich aber sogleich aus allen
vieren herauspuhlen.
Zunächst muß ich da doch - ich habe mir
lange überlegt, ob ich es wirklich soll - auf den
"Kisteninhalt" zurückkommen. Frauchen, es ist leider
nicht so, wie Du annimmst, daß das "Gänsefett"
einzupacken vergessen wurde. Heute kann ich Dir
erzählen was dazu gehörte. Es war noch eine Speck-
-seite, ein Schweineknie (Geselchtes), Puder u. andere
Toiletenartikel darinnen, die Du nicht aufzählst.
Die Gans war mit einer Unmenge Fett und einer
Büchse mit der in Fett gelegten Leber verpackt.
Da Du von alledem, was ich auf Grund der
Fettknappheit mit besonderer Freude für Dich be-
-sorgt hatte, nichts schreibst, dürfen wir wohl
annehmen, daß ein freundlicher Mitmensch diese
nicht zu verachtenden Verbrauchsartikel sich an
Land gezogen hat. Ganz ungeschickt scheint
er es nicht gemacht zu haben. Denn somit
hättest Du kaum von einen guten Verschluß
usw. geschrieben.
Kurzum, diesesmal müssen wir so einiges auf die
Verlustliste schreiben und müssen dabei noch froh
sein, daß trotzdem noch allerlei angekommen ist.

Daß das Päckel aus Erkrath auch noch an-
-gekommen ist, freute mich daraufhin besonders.
Umso mehr aber will ich jetzt den Daumen hal-
-ten, damit das "Wertpaket" mit der Strick-
für Dich in Frankfurt ankommt. Kann
ich so doch vielleicht der Mutti einige Arbeit
mit der Häkelei ersparen.
Damit - ich meine mit dem Wort "Mutti" - wäre
ich bei einem weiteren Punkt der Briefe von
Dir angelangt. Das Schuhproblem wird bis zum
Dezember für Mutti von mir gelöst, darüber
gibt es kein Zweifel. Sorgen braucht Ihr Euch
nicht um die Sachen, höchstens um das An-
-kunftsdatum machen. Ich denke aber, auch
diese Sorgen auf ein Minimum herabdrücken
zu können.
Frauchen, was machen wir bloß mit Mutti?
Was haben denn eigentlich die Ärzte als Ur-
-sache der dauernden Abmagerung festgestellt?
Sind es die Sorge um uns? Ist sie
doch irgendwie krank oder spart sie sich wahr-
-haftig so viel vom Munde ab? Liebling, Du
sollst von mir wissen, daß ich meine paar
Kronen nur zu gerne dazu verwende, Euch
Lücken ausstopfen zu helfen. Nur müßt Ihr
davon ein bissel schreiben. Bisher lebe ich
ja nicht schlecht, neben der Truppenkost habe
ich mancher Einladung zu folgen, die bestimmt
ganz wohltuend in punkto Verpflegung ist.
Für mich brauche ich drum nur wenig Zusätz-
-liches zu kaufen. Die Klamotten bezahle ich in
deutschem Geld bei der Reichskleiderkasse. Da
mußt Du also in meine Kasse greifen. Die

hier erhaltenen Kronen kann ich also fast
ganz für Euch verwenden. Frauchen, es ist das
doch selbstverständlich für mich. Bin ich doch in
meinem Leben sowieso nur noch Dir verschrieben,
warum sollte ich das also in diesem Falle
nicht sein. Über beiderseitige Zugeständniss brau-
-chen wir da garnicht zu sprechen. Einmal
ist dafür nicht die Zeit, zum anderen wissen wir
beide viel zu genau, daß wir uns solche wohl
leisten können, im Grunde unseres Herzens aber
genau wissen, daß sie das andere nie aus-
-nutzen wird. Liebste Margot, es ist schon so, daß
man oft garnicht begreifen will, daß der andere
soweit weg ist, obwohl man genau weiß und
es so oft gefühlt hat, daß wir eins sind und
stets eins sein werden.
Bei solch Gedankengängen kann ich nicht anders,
als Dich ganz lieb in meine Arme zu nehmen
und Dir zu sagen wie glücklich ich mit Dir
bin.
Heute morgen habe ich mal ordentlich Gymnastik
getrieben d.h. ich habe bei 30 Pferden Zahnbe-
-handlung durchgeführt, eine ziemliche Schinderei.
Gilt es doch dabei, den Pferden die Zahnspitzen
abzuhobeln und abzuraspeln. Die armen Tiere hat-
-ten zum großen Teil derart schiefe Kanten an
den Zähnen, daß sie bei jeder Kaubewegung sich
die Maulschleimhaut verletzten. Der Erfolg davon
war natürlich eine Abmagerung der Tiere. Ich
glaube, Du kennst das noch aus der Dembar
Zeit. Nun wollen wir mal sehen, wie sie
sich nach der Behandlung erholen.

Am Nachmittag war "ich" beim Zahnarzt, aller-
-dings war es der letzte Besuch. Der nächste
Besuch wird von mir nach Belieben gemacht, da
mir der gute Mann - er ist übrigens ein Dentist,
der aber sehr gut arbeitet - statt einer von der
letzten Zahnbehandlung in Montpellier noch vorhandenen
Almalganfüllung eine Gußfüllung machen will.
Auf die kann dann später eher mal eine
Krone gemacht werden.
Das ist aber Zukunftsmusik, ähnlich dem Kapitel
Urlaub.(?!)
Frauchen, sei mir nicht böse, wenn ich jetzt
Schluß mache. Im Grunde ist's ja der rechte
Moment, wenn man ins Träumen kommt,
kann man sich doch dann besonders plastisch
seine liebe Frau vorstellen, sie umarmen, lieb-
-kosen und recht oft und innig küssen.
So bleibe ich mit den herzlichsten Grüßen,
auch an die Eltern

          Dein Wolf

© Horst Decker





     




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