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Brief von der slowakisch-ungarischen Grenze bei Sered an Ehefrau in Frankfurt/Main, geschrieben am 14. Oktober 1944

Die Truppe, der Dr. Schneider angehört, hat sich wegen den anrückenden englischen Truppen aus der französischen Somme-Region zurückgezogen und ist nun in der Grenzregion Slowakei-Ungarn stationiert, wo die Truppe in Sered neu aufgestellt werde soll.
Dr. Schneider macht einen Geländeritt und besucht einen Gutshof, bei dem er Tage zuvor als Gast eingeladen war, nebenbei erfährt man, dass seine Ehefrau schwanger ist.


O.U. d. 14. 10.44

Du, mein liebes, gutes Frauchen!
Heute bekam ich mal einen uralten
Brief von Dir, vom 27.8. . Damals waren
wir noch in Frankreich.
Du plauderst darin von meinem ersten
Brief, in dem ich von dem Zusammen-
treffen mit Schreiter Eva schrieb. Mein
Gott, was bist Du da über meinen leisen
Spott in Aufruhr geraten. Ich hoffe aber,
nur zum Schein, denn Du weißt wie ich,
daß kein Spott und Hohn uns gegen-
seitig treffen kann. Warum? Nun, weil
wir uns damit ja selbst träfen; denn
wir sind doch eins und das bleiben wir
immer. Ja, nicht nur, wie Du das mit
mir vorhast, bleiben wir äußerlich stets
die beiden Schneider, nein, und das setze
ich dagegen, wir werden uns immer mehr
ineinander verflechten, so weit, daß jeder
sein 'ich' aus dem 'wir' nicht mehr
herausfilzen kann. Punkt! Ich stelle
fest, Du bist damit einverstanden. Wer
hat also recht, Du oder ich? Keiner
denn nur 'wir' haben recht! Also, da

erkennst Du gleich meine Herschergelüste
habe ich doch, Dein Mann, recht gehabt!
Aber das wollte ich Dir trotz alledem
garnicht sagen. Vielmehr solltest Du wissen,
daß ich Dich unendlich lieb habe, ein
Busserl von Dir haben möchte, um Dir
dann viele wiederzugeben und alle The-
-sen überflüssig sind, die da von Recht
und Unrecht oder mehr oder weniger Recht
faseln. Wir kennen eben nur eins: Wie
mache ich meinem Liebsten die größte
Freude!
Heute habe ich mal Ferien vom Ich ge-
-macht. Insofern nämlich, als ich mich
nach einem arbeitsreichen Vormittag
sofort nach dem Mittagessen zu meinem
Pferd begeben habe, es ein bissel putzte
und wartete und dann in die Gegend
ritt.
Etwas Ärger macht mir ja der schwarze
Quelle noch, da er mit seinem Kopf
oft anders will als ich. Aber er hat
auch wieder recht gute Seiten, die mich
mit seiner Dickköpfigkeit (die allerdings
auch am schlechten Reiter liegen kann)

wieder versöhnen.
Wunderschönes Wetter lag heute über
dem Waagtal. Als Künder nahender
erster Nachtfröste, die mit der Tomaten-,
Melonen- u. Gurkenernte ein Ende machen
werden, zeigten sich Flüge wilder Gänse,
die laut gackernd und ratschend
nach Südwesten flogen.
Beim Reiten durch die Maisfelder und
durch das Röhricht am Waagufer stöberte
ich zudem allerhand Rebhüner auf.
so daß dauernd Leben um
mich war.
Mein Besuch galt zunächst der Vet.-
Komp. , danach gings durch die Waag,
die etwa 1 1/2 m tief, aber ziemlich
reißend war. Ich kam trocken rüber
und ritt dann durch Weinberge und
Felder dem Hofe zu, wo ich vor einigen
Tagen das Familienfest gefeiert hatte.
Die Leute nahmen mich äußerst freund-
-lich auf und erst jetzt gegen 11h
kam ich mutterseelen allein zurück.
Auf der Landstraße und durch die Ei-
-chen u. Akazienwälder begleiteten

mich Käutzchen. Der Sternenhimmel
bot zudem auch allerhand Abwechselung.
Die Hauptsache aber war, daß ich wieder
mal so ganz in Gedanken bei meiner
lieben Margot sein konnte.
Liebling, das Familienleben dieses Ehe-
-paars, wo ich heute Abend weilte, ist
doch recht ähnlich dem unseren, obwohl
sie eine Generation älter sind. Aber
auch sie haben als Leitworte:' Wie
Du willst, will auch ich, und was ich
will das weiß ich, willst auch Du'.
Ja, Frauchen, da findet man sich
selbst wieder und freut sich, auch
solch liebes Frauchen zu besitzen.
Wie schön aber wird es sein, wenn
unsere Almute oder der Notker dasein
wird?
Frauchen, ich bin dann stets so unsag-
-bar glücklich und weiß, daß ich all
das nur Dir verdanke.
Drum laß Dich umarmen u. ganz
innig liebkosen. Mit herzlichen Grüßen u.
einer Unzahl verliebter Küsse bin ich so
Dein Wolf


© Horst Decker