profilm.de Zeitzeugenberichte Balkanfront

Brief von der slowakisch-ungarischen Grenze bei Sered an Ehefrau in Frankfurt/Main, geschrieben am 21. September 1944

Die Truppe, der Dr. Schneider angehört, befindet sich auf dem Rückzug aus der französischen Somme-Region und hat mittlerweile die Grenzregion Slowakei-Ungarn erreicht, wo die Truppe in Sered neu aufgestellt werde soll.

Sered d. 21. 9.44

Meine liebe, gute Frau !
Allzuweit ging die Fahrerei nicht mehr, aber es kam dabei
doch ganz anders, als ich Dir gestern schrieb und wir zu-
nächst angenommen hatten.
Frauchen, wir sind in der Slowakei an der Waag in einem
kleinen Städtchen gelandet, was an sich - d..h. Bewohner u.
Wohnungen - recht sauber ist, durch die lange Trockenheit
der letzten Wochen aber von einem unheimlichen weißen
Staub bedeckt it. Ein Schritt auf der Straße und
schon hat man staubige Stiefel und die Klamotten
sehen ebenfalls grau in grau aus.
Die Fahrerei war noch recht amüsant insofern, als ich von
Tyrnau, wo der andere Haufen eigene Wege ging, noch das
letzte Stück allein fahren mußte, d.h. gegen 3 Uhr früh
fuhr ein feudaler Expreß mit 12 Wagen, und meine
Herrlichkeit war der einzige Fahrgast. Frühzeitig, in der 4.
Stunde kam ich hier an und konnte mein Quartier
suchen. Kreuz und quer mußte man laufen, in eine
Judenaktion kam ich hinein, um endlich den Abteilungs-
gefechtsstand zu finden, eine ganz feudale Angelegenheit.
Zunächst hatte man sich ja schon wieder auf Strohsäcke,
Wanzen und Schmuddelei eingestellt. Umso größer war die
Überraschung, als ich ein weißbezogenes Bett, ein sauberes
Zimmer und fließend Wasser, Fenster nach einem netten
Park und andere Bequemlichkeiten vorfand. Man kann
sich als Mitteleuropäer jedenfalls recht wohl hier fühlen.
Truppenübungsplatz ist halt abgemeldet und wir sind
hier in Privatquartieren. Unsre Behausung ist allerdings

etwas einsam insofern, als es ein alleinstehendes Gästehaus
einer großen Zuckerfabrik ist.
Gesellschaft und Verbindung habe ich aber schon angeknüpft
durch einen heutigen Besuch beim hiesigen Tierarzt, der mir
auch anbot, mich dann und wann auf Praxis mitzu-
nehmen und mich auf diese Weise in slowakische Verhält-
nisse einzuführen.
Ein Abendbrot habe ich da schon als Belohnung für
eine ärztliche Hilfe (ich habe ihm ein Furunkel an einer
heiklen Stelle behandelt) von ihm vergeltet bekommen,
da war alles dran. Dieses Völkchen lebt bis jetzt
im tiefsten Frieden und hat natülich noch alles.
Ja, Liebling, ich wünschte, ich könnte Dir da so manches
zustecken. Hier sind aber die Geldsorgen noch schlimmer
als in Frankreich. Eine monatliche Geldsendung von 100,-
RM ist nicht möglich. Also gilt schon die Parole
"sparen" und billige "Verbindungen" aufnehmen.
Dieser Tierarzt ist dabei Ukrainer und am Ort ein
sehr angesehener Mann. Nach und nach werde ich Dir
eine Charakterstudie von ihm geben. Schon das wenige, aller-
dings noch mit wenig Zusammenhang Erzählte, läßt
auf ein recht bewegtes Leben schließen. Diese osteuro-
päischen Schicksale haben unbedingt etwas Romantisches
an sich, das ist fast - zumindest gilt das für
die bisher mir bekannten Tierärzte, also auch Polen -
die Regel.
Na, nach unserem Erleben gehören wir ja auch schon bald
unter diese Kategorie von Menschen, denn erlebt haben wir
auch schon so einiges. Was das Schöne anbelangt, soll das aber nur ein ganz kleiner Anfang gewesen sein. Einverstanden?
Sag ja, Frauchen, und dann laß Dich umarmen, ganz innig und lieb abküssen und schließlich herzlich grüßen von Deinem Wolf

© Horst Decker