profilm.de Zeitzeugenberichte Balkanfront

Brief von der slowakischen Grenze bei Lundburg an Ehefrau in Frankfurt/Main, geschrieben am 20. September 1944

Die Truppe, der Dr. Schneider angehört, befindet sich auf dem Rückzug aus der französischen Somme-Region und hat mittlerweile die Slowakei erreicht, wo die Truppe neu aufgestellt werde soll. Ziel ist, so wird nun vermutet, ein Truppenübungsplatz bei Preßburg

Auf der Bahn a. 20. 9.44

Meine liebes, liebes Frauchen!
Noch immer liegen wir auf der Bahn
und wissen noch nicht recht, wohin die
Reise gehen soll.
Am Vormittag war Brünn an der Reihe, jetzt
sind wir dicht vor der slowakischen Grenze,
in Lundenburg.
Nachdem es im Reich immer glatt durch-
ging, ist es seit gestern Abend eine wilde
Stotterei! Kilometer um Kilometer quält sich
das Zügle vorwärts. Auf diese Art kann ich
natürlich die Abteilung nicht so bald errei-
chen. Heute sicher nicht mehr. Vor Dunkel-
werden sind wir nämlich kaum am Ziel
und in der Dunkelheit werde ich in der
Slowakei nicht nach dem Haufen sehen.
Also bleibe ich noch eine Nacht bei dem
Nachschubführer und lasse es mir gut gehen.
Die Herrn leben nicht schlecht und da
fällt für mich als Gast schon etwas ab.
Du könntest mich also dicke Zigarren schmek-
ken und noch immer einigermaßen gut essen

sehen. Das wird aller Voraussicht nach
nun auch so bleiben. Denn in der Slowa-
kei oder überhaupt im Südosten gibt es
von alledem ja mehr als im Reich. Na,
ich hoffe, Dich davon das eine oder andere
mal zur Nutznießerin zu machen. Mal sehen,
wie es mit dem Pakete schicken von dort
geht. Das hängt davon ab, ob wir Urlauber
wegschicken können.
Die Gegend, die wir heute und auch schon
gestern in Böhmen durchfuhren, war recht
reizvoll. Gestern die sächsisch-böhmische
Schweiz mit Bastei, König- u. Lilienstein
sowie das untere Moldautal vermittelten die
ersten ansprechenden Eindrücke. Tomaten, Plau-
men und Äpfel brachten uns die Kinder
an die Bahn. Heute in Mähren sind wir
schon im Lande der Melonen, des Maises,
in das mitunter Weinfelder eingestreut sind.
Das Land ist nicht mehr so bergig, man
sieht weithin und recht überall auf den
langestreckten Höhen die Dörfer und Städte
liegen; bei der Herbstsonne, die über alledem

scheint, ein recht hübsches Bild.
Eben in Landshut wird nun geflüstert,
daß es ev. auf den Truppenübungsplatz
Pulosik (40 km vor Preßburg) kommen. Na,
heute abend werden wie es ja wissen. Es
wird dann sicher so ähnlich wie Deba oder
Nichen (Anm.beide Orte unleserlich) sein, nur daß ich dann nicht die
Möglichkeiten wie dort habe. Die Kenntnis
des Betriebes macht aber vielleicht manches
scheinbar Unmögliche möglich.
Frauchen, und nun zu Dir. So manches von
den vorgegangenen Tagen in Betsche wurde mir
schon stückweis in den kurzen Stunden in
Leipzig erzählt. Wenn ich aber nun die ganze
August- und Anfang September (bis 8.9.)-Post
nicht mehr bekommen sollte, mußt Du mir
doch noch einmal einen Sammelbericht schik-
ken. Interessieren mich da doch noch so aller-
hand Fragen. Hast Du auf unsre Anzeigen
noch irgendwas gehört, ev. auch von den Deba-
bewohnern? Hat Dich Muttel, ich meine N.L.,
auch nicht leergefagt (Anm.sinngemäß da kaum erkennbar) und wie habt Ihr
Euch vertragen? Hast Du Dich mit Christel ver-

standen, die ja nun doch noch unserem Heim
einen Besuch abgestattet hat?
Sind also die ersten 'Familienlasten' eini-
germaßen zu tragen gewesen? Ich hoffe es,
Frauchen, und dann muß ich doch genau
wissen, wie es um unser Gör steht, wie es
sich in dieser Zeit gemacht - und benom-
men hat.
Ja Margott, Du wirst jetzt in den kommen-
den 2 Monaten noch allerhand durchma-
chen müssen. Hoffen wir nur, daß Dir
bei alledem die äußere Ruhe bleibt d.h.
im Westen sich die Fronten stabilisieren.
Doch davon heute nichts. Meine Gedanken
darüber kennst Du zur Genüge
Frauchen, ich fasse Dich ganz lieb beim
Kopf, drücke Dir ein paar ganz feste und
verliebte Busserl auf und bin mit herzlich-
sten Grüßen doch stets
Dein Wolf

© Horst Decker