Feldpostbrief aus Erkrath an Ehefrau in Frankfurt/Main, geschrieben am 16. September 1944

Die Truppe, der Dr. Schneider angehört, befindet sich auf dem Rückzug aus der französischen Somme-Region und hat Erkrath erreicht. Von hier wird der weitere Weg quer durch Deutschland führen. Ziel ist vorerst der Truppenübungsplatz Königsbrück bei Dresden.

Erkrath d. 16. 9.44

Liebes, gutes Frauchen!
Eben, wo ich diese Zeilen schreibe,
sitze ich in einer recht gemischten
Gesellschaft, die heute am Vortag
unserer Abreise aus dem Rheinland
künstlich zusammengestellt ist.
Ein Marotte des Kommandeurs war
der Anlaß. Er meinte, eine Festivität
wäre das Richtige. Nein, das mag
sein wie es will, ich bin mal wieder
der Außenseiter dabei, wie Du mich
dereinst kennengelernt hast. Etwas
distanziert sitze ich abei, Konnex
habe ich in keinster Weise bekom-
men und ich entfern mich mit
diesem Briefeschreiben auch bewußt im-
mer mehr. Weißt Du, es geschieht das

aber wirklich mit meiner Genug-
tuung. Wenn ich nämlich mein
Frauchen zu Hause weiß, wie es
sich sorgt und an Geselligkeiten
dieser Art nicht teilnehmen kann,
weil sie ganz unser beider Glück,
unsern Gör lebt, was soll ich mich
da auf diese flache Art amüsieren.
Du, sei nicht böse, wenn ich
Dir sage, daß das nicht allein der
Grund sein mag. Ich bin in Gesell-
schaften ein schweige Persönchen
und brauche dort allerhand Auf-
möbelung, um aus der Reserve heraus-
gelockt zu werden. Es ist dabei
eine Portion Unsicherheit und Linkisch-
keit dabei, nun das ist Dir auch
nichts Neues.

Frauchen, Du bist in der Beziehung
anders, wenn auch nur an der Ober-
fläche. Du kannst da aber besser
mithalten und glaub mir, Dir zu-
liebe täte ich das auch des öfteren
ganz gerne. Aber ich kann und will es jetzt nicht.
Frauchen, lieber Kerl, mit Dir möchte
ich zusammen sein, mit Dir das
Tanzbein schwingen, in Deiner Gesell-
schaft mich nett unterhalten.
All das Gemachte und Unechte
ist nun mal nichts für mich und
ich fühle mich dabei nicht recht
wohl, obwohl ich es als Mangel em-
pfinde, mich da nicht angleichen zu
können.
Na, ein bissel wirst Du mir später
da auf die Sprünge helfen und da

geht das auch in Ordnung.
Ich bin so froh, daß ich Dich lebens-
sprühendes Wesen besitze. In dem
Punkte bist Du mir sicher mal
ein guter und nützlicher Gegenpol.
Sag, sind das wirklich nur Komplexe?
Nein, es ist schon so und Du darfst
da ordentlich drüber schimpfen. Vielleicht
hilft es.
Von dem Tag ist nicht zuviel zu
berichten, es gab allerlei Pferdemusterungen
und Arbeit bei der Pferdebehandlung.
Ansonsten bin ich jede Stunde, nein,
jede Minute in Gedanken bei Dir.
Und wie oft nehme ich Dich da
in meine Arme, drücke Dich, bin
stolz und freue mich auf den Tag,
wo wir ganz nach unserem eigenen Willen
unser gemeinsames Leben aufbauen können..
Liebling, ich küsse Dich und grüße
Dich recht herzlich   Dein Wolf

© Horst Decker