Brief von der westlichen deutschen Reichsgrenze, an Ehefrau in Frankfurt/Main, geschrieben am 10. September 1944

Die Truppe, der Dr. Schneider angehört, befindet sich auf dem Rückzug aus der französischen Somme-Region und befindet sich bereits im Raum Aachen. Von hier wird der weitere Weg quer durch Deutschland führen. Ziel ist vorerst der Truppenübungsplatz Königsbrück bei Dresden.

O.U. d. 10. 9.44

Liebes Frauchen!
Obwohl es mir heute eigentlich recht
gut gegangen ist, muß ich doch mal
einen 'Trauerbrief' loslassen.
Warum? fragst Du? Nun, weil wir heute
Post bekamen und für mich auch nicht
ein bissel dabei war.
Ja, Margot, im Grunde bin ich ja wohl
selbst schuld daran. Denn hätte ich
Euch die richtige Feldpostnummer angegeben,
wäre sicher alles glatt gegangen. So
muß ich damit rechnen, daß Ihr besten-
falls Eure Briefe wieder zurück beko-
men habt und sie mir nachträglich
zukommen lassen könnt. Ich rechne je-
denfalls damit. Sind doch Deine Briefe
für mich zeitlos und können nie über-
holt sein.
Aber Frauchen, ich muß doch jetzt bald
einmal erfahren wie es Dir geht, ob Du

gesundheitlich noch ganz auf Deck
bist und ob sich Klein-Schneider
auch wirklich noch brav benimmt.
Ja, es ist diese Zeit für mich weder
ganz gleichgültig und ganz so un-
besorgt, wie es der Abstand voneinander
mitunter einmal vortäuschen mag, bin
ich bestimmt nicht. Das sollst Du mir glauben,
hörst Du? Es wäre schon eine kleine
Erlösung, wenn von Dir recht bald
ein frohgemuter Zustandsbericht hier
einliefe. Halte ich also weiter den
Daumen für mein liebes Frauchen
und warte ganz zuversichtlich.
Ja, und nun zu mir.
Am heutigen Sonntag war hier ein
prachtvolles Spätsommerwetter. Dein
Mann ärgerte (?) sich mit ein paar
Patienten herum, um dann eine beru-
higende Predigt unseres evangelischen

Seelsorgers anzuhören. Es ist ein Vertreter
der österreichischen Familie Hochstedter,
von der ich schon einmal einen Vertreter
in der Nähe Stettins kennenlernte. An
sich ist es eine Ärzte-Dynastie. Nun,
ein Pfarrer ist eigentlich dabei noch
gar nicht mal aus der Art geschlagen,
zumal er wie unser Kriegspfarrer, einen
Haufen Schmisse mit sich herum-
trägt. Gesprochen hat er recht gut,
wenn er sich auch manches kirchli-
che Beiwerk hätte schenken können.
Nach einem feudalen Mittagessen -
ich schrieb Dir schon einmal, daß in
dieser Abteilung sehr gut gegessen
wird (nicht etwa getrennte Offiziersküche!)
- und einem Sonntagmittagruhestünd-
chen gings mit unseren Reitpferden
zu einer abgelegenen Batterie, die uns

zu schwarzem Tee (davon schicke ich
auch noch etwas bei Gelegenheit) und
Kuchen (Ja, da staunst Du!) eingela-
den hatte. Das war mal wieder eine
Sache, so über die Felder zu galoppieren.
Am Abend gab's dann noch etwas
Dienstliches und jetzt sitze ich in meiner
Klause alleine bei einer Zigarette
und bin ganz bei Dir.
Inzwischen soll schon ein 'Entweder - Oder'
für unseren Haufen aufgetaucht sein.
Entweder Schanzen u. infanteristischer Einsatz
hier im Westen oder Neuaufstellung als
eine Volks-Grenadier-Division in der
Nähe von Prag. Frauchen, dann glaube
ich langsam doch an einen Weihnachtsurlaub.
Ein wunderbarer Gedanke, mein Traum.
Ach, Du, ich hab Dich so unendlich lieb
und kann es Dir nur immer wieder so
kümmerlich zu verstehen geben. Frauchen,
ich umarme Dich, liebkose und küsse
Dich ganz innig Dein Wolf

© Horst Decker