Brief aus Reims Frankreich an Ehefrau in Frankfurt/Main, geschrieben 18. August1944

Dr. Schneider befindet sich - nach einem Heimaturlaub in Frankfurt - auf der Fahrt zu seinem Truppenteil in der Region Calvados. Von Paris aus strömen abrückende deutsche Verwaltungseinheiten entgegen und behindern sein Fortkommen. Er verlässt den bei Charlons sur Marne stehenden Zug und fährt mit einem dort requirierten Auto nach Reims.



18. 8.44

Mein liebes, liebes Frauchen!
Die Fahrt gestaltet sich so langsam
ziemlich abenteuerlich. Heute morgen
saßen wir noch in Charlons sur Marne und
keiner wußte wie es weiter geht.
Die tollsten Gerüchte schwirrten in der
Luft herum, Paris beschossen u.s.w. war
und schließlich auch der Zug führ
nicht mehr bis Paris. Das verbliebene
Wehrmachtsgefolge wurde ausgeladen und
so etliche Herren setzten sich von uns
ab, um eigene Wege zu gehen. Na,
unser Abteil hielt zusammen und
blieb zum nächsten essen, vor allem auch, weil
der Zug eine Küche hatte und wir auf
das bissel Wehrmachtssuppe fürs erste an-
gewiesen waren. Gegen 14 Uhr standen wir
aber immer noch am gleichen Ort, ohne
daß die Bahn Anstalten traf, uns
weiter zu transportieren. Die Landser
hatten sichs bequem gemacht, sonnten
sich oder badeten in der Marne.

Uns wurde die Sache leid und ich
half nicht schlecht, uns auch unser
Abteilchen leerer zu machen. Wir
stiegen aus und machten Chalons
mit unsrer Wagenanhalterei unsicher.
Am Ende, es dauerte immerhin
Stunden, hatten wir denn auch ein
Fahrzeug gekapert und trudelten zu
dritt Richtung Reims, wo wir auch
wohlbehalten bei der Ortskomman-
dantur landeten. Von hier mußte
es nun leichter Richtung Rouen
vorwärts gehen. Über Paris war das, wegen des
Rückfluten der vielen Behörden,
langsam unratsam geworden. Zudem
war die Aussicht auf eine schnell
zusammengestoppelte Ersatzkompanie
nicht allzuverlockend. Beim eigenen
Haufen ist man besser aufgehoben,
zumal in meinem speziellen Falle.
Kurzum, ich habe halt genauen

und kürzesten Kurs zur Truppe ge-
nommen.
Hier in Reims wurde uns der Bescheid
daß es heute kaum noch eine Mög-
lichkeit zum Fortkommen gäbe.
Also ließen wir uns ein Zimmer an-
weisen und ich sitze jetzt hier in
einem kleinen Hotel und schreibe
meinem lieben Frauchen diesen
Schreibebrief.
Morgen früh will ich mir noch schnell
die berühmte Reimser Kathedrale,
ein Meisterwerk der Spätgotik, besehen
und hoffe dann Gelegenheit zum
Weiterkommen zu haben. Diese Rei-
serei ist so alles andere als schön.
Vor allem, wenn dieses überhastete
und wie ich glaube zu einem
großen Teil grundlose Zurückfluten
der Dienststellen weiterlebt. Wenn
das der Landser wüßte und sähe.

es wäre grausam.
Aber was red ich. Gib mir lieber
ganz schnell einen lieben, nun das
ist ja wohl selbstverständlich, ich meine
auch 'eher' festen Kuß; denn dann bin
ich ja gleich wieder mit meinen Ge-
danken dort, wo ich am meisten und
liebsten bin, wo ich Ruhe und Be-
glückung finde - bei Dir.
Frauchen, werde ich auch bald Post von
Dir bekommen? Wer weiß, wo mein
Haufen steckt und wann ichn ihn er-
reiche. So, wie z.Z. die Transportver-
hältnisse sind, wird die Post zudem
sehr lange Zeit gebrauchen. Nun,
wir wollen beide für uns den
Daumen drücke.
Wie geht's Muttel? Fühlt sie sich
wohl in unserem Nest?
Dir noch recht frohe Tage in Betsche
wünschens, grüßt Dich mit vielen lieben
Küssen und Liebkosungen
Dein Wolf

© Horst Decker